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Zurück auf die Erde für täglich sechs Stunden: Die Unterdruckkammern der SANS-CM-Bettruhestudie

Die am DLR entwickelten und gebauten Unterdruckkammern
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DLR (CC BY-NC-ND 3.0)

Geht man in diesen Tagen durch die Hallen und Gänge der luft- und raumfahrtmedizinischen DLR-Forschungseinrichtung :envihab, hört man ein tiefes Brummen, das immer deutlicher wird, je näher man der Probandenstation kommt. Dort findet derzeit die NASA-Bettruhestudie SANS-CM statt, bei der aktuell die Liegephase der zweiten Gruppe von Probandinnen und Probanden läuft. Die elf Personen verbringen nun ihre 30 Tage konstant in sechs Grad Kopftieflage im Bett, ohne ihre liegende Position zu verlassen. Und das Brummen hat mit dieser Studie zu tun. Es kommt von Pumpen, die außerhalb der Probandenzimmer stehen und Unterdruck erzeugen.

Bei SANS-CM, der Spaceflight-Associated Neuro-Ocular Syndrome Countermeasures study, werden sechs Unterdruckkammern eingesetzt, in denen die Probandinnen und Probanden mit der unteren Körperhälfte für täglich sechs Stunden liegen. Ziel ist es, die durch die Kopftieflage in die obere Körperhälfte verschobenen Körperflüssigkeiten wieder in die Beine und Füße zu „saugen“, damit eine durch den höheren Hirndruck entstehende Problematik an den Augen von Raumfahrenden verhindert werden kann. Langfristig könnte daraus eine neue Gegenmaßnahme für den Einsatz im All entwickelt werden, denn eine ähnliche Problematik entsteht auch bei Astronautinnen und Astronauten.

Zweimal täglich für drei Stunden liegt ein Teil der Probandinnen und Probanden von der Hüfte abwärts in den Unterdruckkammern. Der Druck auf die untere Körperhälfte wird um drei Prozent des gewohnten Luftdrucks auf der Erde reduziert. Der Unterdruck "zieht" die Körperflüssigkeiten Richtung Füße.
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© DLR

Neu ist die Idee der Umverteilung des Blutvolumens durch Unterdruck am Unterkörper nicht. Bereits seit den 1970er Jahren wird das Prinzip des „Lower Body Negative Pressure“ (LBNP) bei verschiedenen Herz-Kreislauf-Experimenten im All eingesetzt. Auf der Internationalen Raumstation ISS nutzen die Kosmonauten diese Technik sogar, um ihren Körper wieder auf die Rückkehr zur Erde vorzubereiten. Da nun seit einigen Jahren bekannt ist, dass die dauerhafte Umverteilung der Körperflüssigkeiten in Schwerelosigkeit zu Augenproblemen führt, kamen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der NASA auf die Idee, eine LBNP als tägliche Gegenmaßnahme auf der Raumstation einzusetzen.

Zuvor muss aber nicht nur geklärt werden, wie viel Unterdruck man benötigt, sondern auch über welchen Zeitraum er angewendet werden muss, denn die AstronautInnen dürfen in ihrer Arbeit auf der Station nicht eingeschränkt werden. Neuere LBNP-Konzepte beruhen daher auf einer tragbaren Unterdruckhose. Darauf basierend, und im Einklang mit den Erkenntnissen aus vorherigen Studien, hat die NASA für die SANS CM-Studie einen Unterdruck von 25 mmHg (Millimeter Quecksilbersäule, Maßeinheit für Drücke) für täglich zwei mal drei Stunden vorgegeben. Da diese Vorgaben 30 Tage hintereinander an sechs Probandinnen und Probanden gleichzeitig umgesetzt werden sollten, wurde ein komplett neues LBNP-System benötigt, welches das Team im DLR vor eine neue Herausforderung stellte. 

Zwar haben LBNP-Experimente auch im Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin eine lange Tradition, allerdings fanden diese meist nur einmalig und über einen kurzen Zeitraum statt. Es wurde also ein neues System für den dauerhaften Einsatz in einer Bettruhestudie benötigt, welches sich reibungslos in den Studienalltag integrieren lässt und den Probandinnen und Probanden einen größtmöglichen Komfort bietet. So lassen sich die Kammern zur Seite hin öffnen, damit auch beim Wechsel vom Bett in die Kammer und zurück die strikte Bettruhe in sechs Grad Kopftieflage eingehalten wird.

Die Unterdruckkammer lässt sich zur Seite aufklappen, damit der Proband sich von seinem Bett hineinrollen kann. So werden auch während des Wechsels die Regeln der strikten Bettruhe eingehalten.
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Der enge Experimentplan der Studie (hier: Tagesplan für die Probandinnen und Probanden) setzt einen reibungslosen Ablauf der sechsstündigen Gegenmaßnahmen voraus
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Danach werden die Probandinnen und Probanden mit ihrer Kammer in ihr jeweiliges Zimmer geschoben, damit sie auch während der insgesamt sechsstündigen LBNP-Phase in der „gewohnten Umgebung“ ihren Freizeitaktivitäten nachgehen können. Bequeme Matratzen und die Möglichkeit, sich vom Rücken auf die Seite zu drehen, tragen ebenfalls zum Komfort bei. Die Pumpen zur Erzeugung des Unterdrucks wurden außerhalb der Probandenstation aufgestellt, um die Geräusche im Probandenzimmer möglichst gering zu halten.  Dafür mussten sogar die Fensterscheiben ausgetauscht werden, um eine Durchführung der Leitungen zu ermöglichen. Während der LBNP-Gegenmaßnahme werden die Vitalparameter der ProbandInnen und die Funktion der sechs Kammern von einem dreiköpfigen Team zentral überwacht und aufgezeichnet.  All diese Maßnahmen führen dazu, dass die LBNP-Gegenmaßnahme bereits nach wenigen Tagen der Eingewöhnung zu einem völlig normalen Programmpunkt im Tagesablauf wird.

 
Vorne: Stefan Möstl, Stellvertretender Projektleiter der SANS-CM-Bettruhestudie, Leiter der Gegenmaßnahme. Im Hintergrund von links nach rechts: Alexandra Noppe (Leiterin der Probandenbetreuung), Dr. Edwin Mulder (Projektleiter der SANS-CM-Studie), Andrea Nitsche (Leiterin der Probandenrekrutierung).
 
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dpa / Oliver Berg

Stefan Möstl vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin ist stellvertretender Projektleiter der Studie und darüber hinaus zuständig für die LBNP-Gegenmaßnahme: „Das Prinzip und die Kammern selbst wurden von einem Team verschiedener DLR-Institute und -Abteilungen entwickelt, das konnten wir nicht alles selber machen. Jörg Drescher vom Institut für Materialphysik im Weltraum hat die Unterdruckkammern konstruiert. Christian Baßler vom Systemhaus Technik West hat die Integrierung der Neopren-Abdichtung entwickelt. Aus dem Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin haben Simon Jokisch, Hartmut Friedrich und Christoph Steger dann den Prototypen und die sechs finalen Kammern zusammengebaut. Gernot Plath und sein Sohn Sven Plath haben die Druckregelung und die zentrale Überwachung der Kammern entwickelt und gebaut. Das gesamte LBNP-System wurde dann von Wolfgang Doering und Stefan Schmitt in die Probandenstation integriert. Das war wirklich toll, mit so vielen Kolleginnen und Kollegen aus mehreren DLR-Bereichen zusammenzuarbeiten, mit dem gemeinsamen Ziel, eine Gegenmaßnahme zu realisieren, welche möglicherweise in naher Zukunft auf der Raumstation verwendet wird.“  Diese Perspektive motivierte nicht nur das DLR-Team. Auch viele der Probandinnen und Probanden geben diesen Aspekt als treibende Kraft an.

Im Kontrollraum
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Stefan Möstl hat die Unterdruckkammern im Vorfeld der Studie selbst getestet: „Man spürt den Unterdruck an der Neopren-Schürze, die am Bauch anliegt und die Kammer abdichtet, schon deutlich, vor allem beim Ein- und Ausschalten. Beim Einschalten hat man das Gefühl, dass das Bett wieder waagerecht wird, beim Ausschalten hat man dann das Gefühl, dass das Bett wieder zurückkippt. Natürlich ändert sich die Lage des Bettes mit seinen -6 Grad nicht! Manche Probanden empfinden es auch als angenehm, dass man während der LBNP weniger Druck im Kopf spürt.“ Der eigentliche Erfolg der Druckkammern kann allerdings erst richtig beurteilt werden, wenn alle Messungen abgeschlossen und ausgewertet sind. Verglichen werden diese Ergebnisse auch mit der zweiten Hälfte der Bettruheprobanden, welche für zwei mal drei Stunden täglich aufrecht sitzen. Ziel dieses Vergleichs ist es zu überprüfen, wie nah die LBNP an die „optimale“ Umverteilung des Blutvolumens rankommt.

Die Pumpen wurden außerhalb der Zimmer installiert, damit das Brummen die Probandinnen und Probanden nicht stört
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DLR (CC BY-NC-ND 3.0)

Der Medizintechnik-Ingenieur Stefan Möstl ist seit zehn Jahren im DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin und ist besonders stolz, dass eine selbst entwickelte Technik bei einer NASA-Studie zum Einsatz kommt: „Der Reiz an dieser Studie liegt für mich darin, dass wir die Ideen von den Kolleginnen und Kollegen aus der Medizin praktisch umsetzen konnten und sich ein effektives Zusammenspiel von Medizin und Technik ergeben hat.“ Aber auch auf der Erde ist eine Anwendung und Nutzung dieser Technologie möglich: Zum Beispiel könnte man eine LBNP an Patienten mit erhöhtem Hirndruck einsetzen. Diese Idee steht zwar noch am Anfang, aber auch hier könnte ein Einsatz hilfreich sein.

Insgesamt hat es anderthalb Jahre gedauert, bis die Idee umgesetzt worden war und die ersten Daten erhoben werden konnten. In der kommenden dritten Kampagne, die im Frühjahr 2023 startet, wird es dann auch eine Kontrollgruppe geben, welche keinerlei Gegenmaßnahmen erhalten wird. Außerdem wird eine neue Gegenmaßnahme getestet: Die Probandinnen und Probanden werden dann in ihrer Kopftieflage täglich Fahrrad fahren. Anschließend wird das Blut in den Beinen vorübergehend daran gehindert, zurück in Richtung Kopf zu fließen, indem man Druckmanschetten an den Oberschenkeln anlegt. Nach Abschluss der vier Kampagnen entscheiden dann die Untersuchungsergebnisse zu den Augen, dem Sehnerv und dem Gehirn, welche Gegenmaßnahme im All eingesetzt wird. Es bleibt also spannend im :envihab.

Das LBNP-Team mit den speziell entwickelten Unterdruckkammern
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© DLR