Höhenforschungsrakete MAPHEUS-12: Viel zu tun vor dem Countdown in Nordschweden
Derzeit bereiten wir die Höhenforschungsrakete MAPHEUS-12 für ihren Flug in die Mikrogravitation vor. Auf Esrange, einem von der Swedish Space Corporation SSC betriebenen Höhenforschungsgelände – etwa 45 Minuten außerhalb von Kiruna im Norden Schwedens – befinden wir uns seit vergangener Woche. Wir sind ein 30-köpfiges Team des DLR-Instituts für Materialphysik im Weltraum, des DLR-Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin und der DLR-MORABA (Mobile Raketenbasis) und arbeiten unter Hochdruck und warten gespannt auf den Start.
++++ Update vom Donnerstag, 20. Oktober: Rakete startbereit, jetzt muss das Wetter mitspielen
Gestern gab es einen erfolgreichen Test-Countdown für unsere Höhenforschungsrakete MAPHEUS-12, sodass wir aus Sicht von Wissenschaft und Raketentechnik jetzt startbereit sind. Wir reden nun also ... übers Wetter. Am heutigen Donnerstag wird es keine Startmöglichkeit geben. Zu starke Höhenwinde. Der Flug muss so geplant werden, dass die Rakete möglichst nahe an einem bestimmten Punkt landet, mit einer vorhergesagten Schwankung Diese muss klein genug sein, dass der tatsächliche Landepunkt innerhalb der zulässigen Zone liegt.
Die Startrampe kann in Ausrichtung und Neigung verändert werden, um zum Beispiel Winde, die den Teil der Flugbahn beeinflussen, der innerhalb der Atmosphäre verläuft, für den Flug einzukalkulieren. Allerdings ist eine solche Verstellung der sogenannten Launcher Settings nur innerhalb bestimmter Grenzen möglich. Vor jedem geplanten Start diskutieren wir deshalb die Wettervorhersage, um ein bestmögliches Zeitfenster für den Start zu finden. Während des fünfstündigen Countdowns wird die Wettervorhersage dann noch durch genaue Live-Daten von lokalen Wetterballons ergänzt. Wenn – so wie für heute der Fall war – alle Wettermodelle schon in der Vorhersage zu nicht erfüllbaren Launcher Settings führen, ist es sinnvoll, abzuwarten. Für Freitagmorgen sehen die Vorhersagen viel besser aus! Übrigens: Die Swedish Space Corporation (SSC) wird den Start live auf ihrem Youtube-Kanal streamen. ++++
MAPHEUS steht für Materialphysik in der Schwerelosigkeit und ist ein Forschungs- und Entwicklungsprogramm, das von den DLR-Instituten Materialphysik sowie Luft- und Raumfahrtmedizin gemeinsam mit MORABA seit 2009 durchgeführt wird. MAPHEUS-12 wird sieben verschiedenen Experimenten rund sechs Minuten Zeit in der Schwerelosigkeit ermöglichen. Die Versuche wurden von unseren Instituten mit mehreren Kooperationspartnern entwickelt und aufgebaut. Mit dabei sind Forschende der Technischen Universität München, der Tierärztlichen Hochschule Hannover, des Leibniz-Instituts für Neue Materialien in Saarbrücken, der La Trobe University im australischen Melbourne und der adesso SE.
Die erste Woche war geprägt von Vorbereitungen aller Art: Nach dem Auspacken dutzender Kisten und dem Aufbau der einzelnen Stationen mussten alle Raketensysteme und Experimente getestet werden, während die Experimentatoren in letzter Minute ihre Proben vorbereiteten. Ein erster wichtiger Schritt ist der sogenannte „Bench-Test“, bei dem alle Experimentmodule zusammen mit den Serviceeinheiten hintereinander ausgelegt und elektrisch angeschlossen werden. Danach kann die Nutzlast integriert und diese aufrechte Position gebracht werden. Anschließend steht die erste Simulation des Flugvorgangs an.
Die Vorbereitung findet in einer separaten Halle im Launchbereich auf Esrange statt. Nach etwa einer Woche der Vorbereitung sollten wir bereit sein, die Nutzlast zum Startplatz zu bringen und sie auf die Triebwerke der Höhenrakete zu laden.
SOMEX ist eines der Experimente auf MAPHEUS-12. Das ist eine vielseitige Experimentierplattform für „weiche Materie“, die alle Arten von optischen Analysetechniken bietet und mit einer Vielzahl von Materialien verwendet werden können: kolloidalen Suspensionen, Emulsionen – also Materialien, wie sie aus zahlreichen Alltagsprodukten wie Milch oder Kosmetika bekannt sind – oder biologischen Flüssigkeiten. SOMEX ist als „Vielflieger“ konzipiert. Die wichtigsten Hardware-Komponenten bleiben erhalten, und nur die Probenaufnahme wird für neue Experimente angepasst.
Der aktuelle MAPHEUS-Flug ist der erste mit einem Experiment, das von unserem Kooperationspartner, dem Leibniz-Institut für Neue Materialien in Saarbrücken, entworfen wurde. Gemeinsam mit ihm untersuchen die Kolleginnen und Kollegen des DLR-Instituts für Materialphysik im Weltraum die Aggregation (in „Strengdeutsch“: Zusammenballung) von Gold-Nanopartikeln mittels Laserlichtstreuung und Hochgeschwindigkeitsaufnahmen. Wir wollen lernen, wie der als Agglomeration bezeichnete Prozess über die Zeit abläuft. Dazu werden Messungen benötigt, bei denen die Partikel während des gesamten Prozesses schweben. Aus diesem Grund wird das Experiment in der Mikrogravitation während eines Höhenflugs durchgeführt.
Neue Materialien für leichte, flexible und leistungsfähige Solarzellen unter Weltraumbedingungen zu testen, ist das Ziel des SVALIN-Experiments, das von der Gruppe um Prof. Müller-Buschbaum der TU München durchgeführt wird. Gemeinsam mit der DLR-Materialphysik haben sie ein Höhenforschungsmodul gebaut, das an seiner Außenseite acht Fenster hat, in die Solarzellenproben eingesetzt werden. Dies muss spät geschehen, erst während des Countdowns. Die Wissenschaftler wollen verstehen, wie die neu entwickelten Materialien unter rauen Umgebungsbedingungen degradieren, und dazu sollen die Zellen möglichst „frisch gemacht“ auf die Rakete kommen.
Damit dies reibungslos ablaufen wird, besteht ein Teil der Vorbereitungen darin, dieses Verfahren zu trainieren. Während des Countdowns müssen die acht Probenhalter unter schwierigen Bedingungen angeschraubt werden. Da die Rakete für den Launch auf einer Führungsschiene steht, sind einige der Probenhalter nur schwer und mit einem speziellen Werkzeug zu erreichen. Auch dies ist etwas, das gut getestet werden muss, insbesondere während des Test-Countdowns.
Außen benutzt, innen völlig neu – das MAPHEUS-Servicemodul
MORABA konstruiert und baut das Servicemodul, sozusagen den Bordcomputer der Rakete, selbst. Das Modul kümmert sich um die Weitergabe der relevanten Signale wie zum Abheben oder dem Beginn der Schwerelosigkeit an die einzelnen Experimente. Es versorgt diese auch mit Strom, falls sie nicht über ein eigenes Batteriepaket verfügen. Das Servicemodul bietet außerdem Daten- und Videokommunikation während des Fluges, Höhen- und Positionsinformationen und steuert ein Kaltgassystem, das bei Bedarf eine Anpassung der Fluglage ermöglicht. In dieser Kampagne setzen wir zum ersten Mal ein neu entwickeltes Servicemodul ein: Dank neuer Hardware bietet es eine zehnmal schnellere Kommunikation, eine präzisere Flugkontrolle und einiges mehr. Es ist auch auf Wiederverwendbarkeit ausgelegt, sodass es nach der Überholung in der nächsten Kampagne wieder eingesetzt werden kann.
Ein weiteres wichtiges Modul von MORABA ist die Zündeinheit der Raketentriebwerke. Sie ist für die Zündung der zweiten Stufe der Rakete in etwa 6,6 Kilometer Höhe zuständig, kurz nachdem die erste Stufe ausgebrannt ist. Sie wird von DLR-MORABA gebaut und muss extrem robust und zuverlässig sein, da sie sicherheitskritisch ist. Bei MAPHEUS-12 wird die überarbeitete Zündeinheit fliegen, die bereits beim MAPHEUS-9-Flug in diesem Jahr verwendet wurde.
„Late Check-ins“ während des fünfstündigen Countdowns
Wenn die Nutzlast auf der Trägerrakete montiert ist, können die Experimente nur noch aus der Ferne gesteuert werden. Alle Experimente mit Proben, die nicht tagelang draußen, sprich außerhalb der warmen Laborumgebung, aufbewahrt werden können, müssen mit Früh- oder Spätzugangsluken ausgestattet sein. Dabei handelt es sich um Öffnungen in der Nutzlast, durch die die Proben noch während des fünfstündigen Countdowns eingeführt werden können. Auf MAPHEUS-12 haben wir fünf Experimente, die einen solchen „Late Check-in“ benötigen. Sie werden bis eine Stunde vor dem geplanten Start mit Proben bestückt.
In der Regel betrifft der Spätzugang alle biologischen Experimente. Diesmal ist das Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin des DLR mit zwei Experimenten an Bord, die MEA und GraviPlax heißen. MEA ist ein Multielektroden-Array-Chip, auf dem Gehirnzellen von Mäusen, sogenannte primäre Neuronen, gezüchtet werden. Bei dem Experiment werden die Veränderungen im Feuerverhalten der Neuronen unter Hyper- und Mikrogravitationsbedingungen untersucht. Damit diese Gehirnzellen überleben können, muss eine Probentemperatur von 37 Grad Celsius strikt eingehalten werden. Je nach Wetterbedingungen in Nordschweden kann dies eine ziemliche Herausforderung sein. Das Team hat eigens eine analoge Heizung entwickelt, die sorgfältig daraufhin überprüft wurde, dass sie keine hochfrequenten elektromagnetischen Signale aussendet, während sie die Probe auf Temperatur hält. Solche Strahlungen sind verboten, wenn Menschen in der Trägerrakete arbeiten müssen.
Das zweite Experiment der DLR-Luft- und Raumfahrtmedizin, GraviPlax, fliegt zum zweiten Mal und wird uns Einblicke in die Gravitations-Sensorik von Zellen geben. Es fliegt mit einfachen Organismen (Trichoplax adhaerens), die bei Hyper- als auch bei Mikrogravitation untersucht werden. Die Tierärztliche Hochschule Hannover und die La Trobe Universität im australischen Melbourne begleiten uns bei der Kampagne. Gesteuert wird das Experiment von einer kleinen Elektronikplatine, die genug Platz für einen weiteren Mikrocontroller bietet, auf dem die Forschenden zusammen mit der Firma adesso SE die kryptographisch sichere Aufzeichnung von Sensordaten testen.
Am letzten Montag konnten wir die Triebwerke und die Nutzlast in die Trägerrakete laden. Danach dauerte es noch einen ganzen Tag, um die bodengestützte Ausrüstung zu installieren. Die einzelnen Module sind typischerweise mit verschiedenen Versorgungskabeln verbunden, um sie mit Strom- und Datenverbindungen zu den Bodencomputern zu versorgen. Auf diese Weise können die Experimente während des Countdowns gesteuert und startklar gemacht werden.
Alle Schritte werden intensiv getestet: Bei jeder größeren Operation werden zahlreiche Kommunikationsprüfungen und Testläufe durchgeführt. Und da eine Menge Ausrüstung von verschiedenen Parteien beteiligt ist, bleibt es fast unvermeidlich, dass irgendwann einige Probleme auftreten. Glücklicherweise mussten wir während der Kampagne bisher nur kleinere beheben. Jetzt heißt es Daumendrücken für den Start!
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