24. April 2024 | Mission Mars Express

Angustus Labyrinthus – die „Inka-Stadt“ am frostigen Südpol des Mars

  • Eine neue Aufnahme der Marskamera HRSC des DLR zeigt das rätselhafte Angustus Labyrinthus in der südlichen Polarregion des Mars.
  • Die Struktur weist ein geradliniges, in rechten Winkeln zueinander angeordnetes Muster von Graten und dazwischen eingebetteten Polygonen auf.
  • Die Ursache für die Entstehung dieser Landschaftsmerkmale ist noch ungeklärt.
  • Schwerpunkte: Raumfahrt, Mars, Planetenforschung, Exploration des Sonnensystems

Systeme von Bergkämmen, die mehr oder weniger im rechten Winkel zueinander stehen, finden sich an zahlreichen Orten und in zahlreichen geologischen Zusammenhängen auf dem Mars. Das bekannteste Beispiel dafür ist Angustus Labyrinthus (im ersten Bild in der Mitte und in der Übersicht links). Dieses Bild, aufgenommen von der hochauflösenden Stereokamera HRSC an Bord der ESA-Mission Mars Express, zeigt auf eindrucksvolle Weise diese rätselhafte Gegend in der südlichen Polarregion des Mars. Die HRSC ist ein Kameraexperiment, das vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) für Mars Express entwickelt wurde und seit über 20 Jahren betrieben wird.

Entstehungsursache noch ungeklärt

Die Struktur Angustus Labyrinthus in hohen südlichen Breiten, nur 500 Kilometer vom Mars-Südpol entfernt, wurde bereits 1972 durch Daten der US-Raumsonde Mariner 9 entdeckt. Sie weist ein geradliniges, in rechten Winkeln zueinander angeordnetes Muster von Graten und dazwischen eingebetteten Polygonen auf, das an die Inka-Ruinenstadt des Weltkulturerbes von Machu Picchu in Peru erinnert. Daher werden diese geologischen Formationen informell als „Inka-Stadt“ bezeichnet.

Ursachen für die Entstehung dieser Landschaftsmerkmale werden seitdem diskutiert. Zunächst wurde erwogen, dass es sich bei diesen Dämmen um verfestigte Dünenkämme aus ursprünglich lockeren Sedimentpartikeln handeln könnte, die im Lauf der Zeit in festes Gestein umgewandelt wurden. Als eher wahrscheinlich gilt, dass es sich bei diesen Barrieren um schmale, vertikal stehende Gänge erstarrter Lava, sogenannte Dykes, handelt.

Die Erhebungen sind Teil einer großen kreisrunden Struktur mit einem Durchmesser von 86 Kilometern. Somit kommt auch ein Asteroideneinschlag als Erklärung infrage. Dieser Theorie zur Folge füllten sich die tiefen Verwerfungen, welche durch den Einschlag entstanden waren, mit aufsteigendem Magma, das in Form der polygonal zueinander angeordneten Spalten erstarrte. Später wurde das umliegende weichere Material der Polarebenen abgetragen, wobei die härteren Bestandteile des magmatischen Gesteins als Grate zurückblieben.

Eine weitere Hypothese besagt, dass die Erhebungen mit der benachbarten Dorsa-Argenta-Formation zusammenhängen, die viele langgestreckte, in der Landschaft stehende Rücken aufweist, die als sogenannte Esker interpretiert werden. Der Begriff stammt von dem irischen Wort „Eiscir“ (Kiesgrat) ab und bezeichnet langgestreckte, manchmal geschwungene Rücken, die aus Ablagerungen in Gletscherflüssen gebildet wurden und nach dem Gletscherrückzug sozusagen als invertierte Flusstäler zurückbleiben. Esker weisen allerdings nicht diese polygonalen Strukturen auf, die in Inka-Stadt zu sehen sind.

Schichten und Spuren jahreszeitlicher Veränderungen in Angustus Labyrinthus
Das Bild zeigt erodierte, geschichtete Ablagerungen, die große rundliche und ovale Formen aufweisen. Die dunklen Ablagerungen sind vermutlich das Ergebnis von periodischen, jahreszeitlich bedingten Kohlendioxidgas-Ausbrüchen durch die winterliche Eiskappe zu Beginn des Frühlings, die dunkle Sande mit an die Oberfläche reißen.
Credit:

ESA/DLR/FU Berlin (CC BY-SA 3.0 IGO)

DownloadDownload

„Spinnen“-Flecken am Südpol

Die südliche Polarregion des Mars weist eine auffallende Fülle an exotischen Landformen auf, die meist in Regionen vorkommen, die von einer saisonalen Eiskappe bedeckt sind. Diese HRSC-Aufnahmen zeigen einige dunklere Regionen in der Bildmitte bis zur linken (südlichen) Seite des Bildes. Bei genauerem Hinsehen bestehen diese dunklen Oberflächen aus vielen kleinen dunklen Flecken, die auch in allen anderen Polargregionen der Mars zu finden sind. Sie weisen eine Größe von knapp 50 Metern bis 1 Kilometer auf und werden vermutlich durch den Austritt von sand- und staubbeladenem Kohlenstoffdioxidgas (CO2) von unterhalb der hellen Eisfläche verursacht: Wenn das CO2 im Spätherbst und Winter am Südpol kondensiert, bildet es eine 0,5 bis 1 Meter dicke saisonale Kappe aus hellem, grobkörnigem CO2-Eis, die dunkle Sandablagerungen rum um die Polregion bedeckt.

Diese Schicht aus CO2-Eis ist für das sichtbare Licht weitgehend durchlässig, jedoch für das thermische Infrarotspektrum undurchlässig. Das bedeutet, dass das Sonnenlicht die Eisschicht durchdringen und die darunter liegende Basis erwärmen kann, was im Frühling zur plötzlichen Umwandlung des CO2-Eises in den gasförmigen Zustand führt. Das durch Ausdehnung unter Druck stehende Gas ist dann in den dunklen Sanden unterhalb der Eisschicht eingeschlossen. Wenn der Druck weiter steigt, bekommt das Eis Risse, und es kommt zu einem schnellen Gasausbruch, bei dem dunkles Material aus dem Hohlraum mitgerissen wird und auf der Eisoberfläche die dunklen Flecken bildet.

Es wird angenommen, dass dieser Prozess einen wichtigen Austausch von CO2 zwischen der Polkappe und der Atmosphäre darstellt. Würde man mit Bildern höherer Auflösung näher an die dunklen Flecken heranzoomen, könnte man dünne Linien, ausgehend von einigen dieser Punkte, entdecken. Sie entstehen, wenn das unter Druck stehende CO2 entlang von Schwächezonen im Eis austritt und das darunterliegende Material ähnlich wie Spinnenbeine um den dunklen Fleck abgelagert wird. Daher werden diese Strukturen in der Marsforschung auch „Spinnen“ genannt. Der Mars Reconnaissance Orbiter der NASA hat wiederholt solche ungewöhnlichen „Araneiformen“ (vom lateinischen ‚aranei‘ für Spinne) fotografiert.

In der Bildmitte finden sich erodierte Schichtablagerungen, die große rundliche und ovale Formen aufweisen. Das Zentrum der Aufnahme wird von einigen Tafelbergen mit einer Höhe von über 1.500 Metern dominiert. Interessanterweise ist das „Spinnen“-Phänomen überall auf dem Bild und in allen Höhenlagen zu finden, sogar auf den großen Tafelbergen und an einigen steilen Flanken. Weiter im rechten (nördlichen) Teil des Bildes erscheint die rötliche Staubbedeckung der Oberfläche viel höher. Auf dem angrenzenden Plateau schließlich sind wieder viele „Spinnen“ zu finden. Es gibt auch einige Schluchten und Mulden, die vermutlich von periodischem Übergang von festem in gasförmigen Zustand zeugen.

Regionaler Kontext der Region Angustus Labyrinthus
Der von der DLR-Marskamera HRSC auf der ESA-Mission Mars Express am 27. Februar 2024 während Orbit 25449 fotografierte Bildstreifen deckt ein knapp 800 Kilometer langes Gebiet zwischen dem 73. und 87. südlichen Breitengrad nahe des Marssüdpols ab. Im Winter ist dieses Gebiet von der jahreszeitlich sich nach Norden ausdehnen Eiskappe bedeckt. Im Bildstreifen befindet sich auch die von der Wissenschaft informell als „Inka-Stadt“ bezeichnete Struktur Angustus Labyrinthus. Der 200 Kilometer große Krater Schmidt bei 72 Grad südlicher Breite ist zum einen benannt nach dem sowjetischen Wissenschaftler und Staatsmann Otto Julius Schmidt (1891-1956), und zum zweiten nach dem deutschen Astronomen und Geophysiker und langjährigen Direktor des Nationalen Observatoriums von Athen, Johann Friedrich Julius Schmidt (1825-1884). Schmidts Arbeitseifer war legendär: Nach eigenen Angaben kartierte er alleine 32.856 Krater auf dem Mond.
Credit:

NASA/USGS/MOLA; FU Berlin (CC BY-SA 3.0 IGO)

DownloadDownload

Bildverarbeitung

Die Bilder wurden von der HRSC (High Resolution Stereo Camera) am 27. Februar 2024 während des Mars Express-Orbits 25449 aufgenommen. Die Bodenauflösung beträgt etwa 15 Meter pro Pixel und das Bild ist auf etwa 300 Grad Ost und 79 Grad Süd zentriert. Das Farbbild wurde aus den Daten des Nadirkanals, des senkrecht zur Marsoberfläche ausgerichteten Sichtfeldes, und den Farbkanälen der HRSC erstellt. Die schräge perspektivische Ansicht wurde aus dem digitalen Geländemodell, dem Nadirkanal und den Farbkanälen der HRSC erstellt. Das Anaglyphenbild, das bei Betrachtung mit einer Rot/Blau- oder Rot/Grün-Brille einen dreidimensionalen Eindruck der Landschaft vermittelt, wurde aus dem Nadirkanal und einem Stereokanal abgeleitet. Die farbkodierte topografische Ansicht basiert auf einem digitalen Geländemodell (DGM) der Region, aus dem sich die Topografie der Landschaft ableiten lässt. Der Referenzkörper für das HRSC-DTM ist eine Marsäquipotentialfläche (Areoid).

Verwandte Links

Das HRSC-Experiment auf Mars Express

Die High Resolution Stereo Camera wurde am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt und in Kooperation mit industriellen Partnern gebaut (EADS Astrium, Lewicki Microelectronic GmbH und Jena-Optronik GmbH). Das Wissenschaftsteam unter Leitung von Principal Investigator (PI) Dr. Daniela Tirsch vom DLR-Institut für Planetenforschung besteht aus 50 Co-Investigatoren, die aus 35 Institutionen und elf Ländern stammen. Die Kamera wird vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof betrieben.

Kontakt

Michael Müller

Redakteur
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Linder Höhe, 51147 Köln
Tel: +49 2203 601-3717

Dr. Daniela Tirsch

Principal Investigator HRSC
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Planetenforschung
Rutherfordstraße 2, 12489 Berlin

Ulrich Köhler

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Planetenforschung
Rutherfordstraße 2, 12489 Berlin