Der Alltag in der Umlaufbahn bringt viele Besonderheiten mit sich: Der Orientierungssinn wird auf eine harte Probe gestellt. Viele Arbeiten, die auf der Erde recht schnell und problemlos ausgeführt werden können, erweisen sich in Schwerelosigkeit als kompliziert und mühsam. Und auch beim Essen und Schlafen ist vieles anders als auf der Erde. Hier einige der merkwürdigen Dinge, die einem im Weltraum so passieren können …
Kein „Oben“ und „Unten“
Die Schwerelosigkeit ist eine verrückte Welt: Viele Abläufe, die uns auf der Erde normal erscheinen, sind hier im wahrsten Sinne auf den Kopf gestellt. Denn schließlich gibt es im Weltraum kein „Oben“ und „Unten“: Lässt man etwa ein Buch los, so fällt es eben nicht wie sonst auf den Boden, sondern es schwebt einfach in der Kabine herum. Ein Astronaut bzw. eine Astronautin kann mit den Füßen zur Decke schweben und andere mit den Füßen zum Boden – und alle hätten Recht, wenn sie behaupten würden, dass die anderen auf dem Kopf stehen. Vielleicht ist die Erde zu diesem Zeitpunkt gerade links oder rechts zu sehen, vielleicht aber auch oben oder unten – auch der Blick aus dem Fenster bietet daher keine Hilfe, sondern kann eher noch zusätzlich verwirren. Das alles führt gelegentlich zu Orientierungslosigkeit und Übelkeit – den Anzeichen der sogenannten Raumkrankheit, unter der einige Astronautinnen und Astronauten besonders zu Beginn ihres Aufenthalts in Schwerelosigkeit leiden.
Wenn die Pizza zur Decke schwebt …
Aber es gibt noch viele andere kuriose Begleiterscheinungen der Schwerelosigkeit: Viele Astronautinnen und Astronauten berichten davon, dass sich im All der Geschmackssinn ändert. Was beim Probe-Essen vor dem Start noch ganz lecker war, schmeckt plötzlich in Schwerelosigkeit nicht mehr so gut – und umgekehrt. Offenbar ist ein Effekt, der sich im Körper abspielt, dafür die Ursache: Denn die Schwerelosigkeit führt dazu, dass sich die Körperflüssigkeiten – Blut und auch Gewebeflüssigkeit in den Zellen – im Organismus anders verteilen. Sie werden jetzt nicht mehr durch die Schwerkraft nach unten gezogen, was auf der Erde zu einer ausgewogenen Verteilung vom Kopf bis zu den Füßen führt. Sondern sie sammeln sich verstärkt im Oberkörper an. Da ist dann etwas zu viel Flüssigkeit vorhanden und im unteren Körperbereich zu wenig. Deshalb haben Astronautinnen und Astronauten während des Fluges oft etwas aufgeschwemmte Gesichter und dünne Beine – sie nennen das selbst „Storchenbeine“. Das aber hat wiederum zur Folge, dass die Schleimhäute in Mund und Nase wie bei einem Schnupfen etwas angeschwollen sind. Und wenn man eine Erkältung hat, schmeckt bekanntlich manches oft anders oder weniger intensiv als sonst. Viele Astronautinnen und Astronauten bevorzugen jedenfalls im All eher würziges Essen. Das einzige Problem besteht dann nur noch darin, Löffel und Gabeln festzuhalten – und natürlich immer schön darauf zu achten, dass die Pizza nicht unbemerkt zur Decke schwebt ...
Blitze im Schlaf
Als die ersten Menschen länger als ein paar Stunden im All blieben, mussten sie logischerweise auch dort oben schlafen. Erst viel später berichteten sie darüber, was sie mit geschlossenen Augen sahen: Lichtblitze! Sie hatten das zuerst verschwiegen, weil sie fürchteten, die Ärztinnen und Ärzte könnten es für ein Anzeichen von Stress halten und sie für fluguntauglich erklären. Schließlich stellte sich aber heraus: Die „Blitze“ waren keine Einbildung. Sie entstehen, weil ab und zu elektrisch geladene Teilchen, die die Sonne aussendet, auf die Netzhaut des Auges treffen. Hier unten auf dem Boden sind wir davor durch das Magnetfeld der Erde geschützt. Im All aber durchdringen diese Teilchen die Wände des Raumschiffs und auch unseren Körper. Deshalb werden Astronautinnen und Astronauten auch regelmäßig untersucht, um sicher zu sein, dass sie dadurch keine gesundheitlichen Schäden erleiden.
Zum Thema Schlafen gibt es noch viele andere Anekdoten: Man hält dabei die Arme wie ein Schlafwandler nach vorne vom Körper weg, wenn man sie nicht vorher in den Schlafsack steckt – offenbar ist das für unsere Armmuskeln eine besonders entspannte Haltung. Einige Astronautinnen und Astronauten schlafen schlechter als auf der Erde, denn unsere „Innere Uhr“ gerät in der Umlaufbahn ein wenig durcheinander: Immerhin umkreist die Raumstation in 24 Stunden 16 Mal die Erde, so dass die Sonne häufiger auf- und untergeht. Weil der Schlaf dadurch „flacher“ wird, träumen Astronautinnen und Astronauten angeblich auch mehr als zu Hause im kuscheligen Bett. Und natürlich muss man in Schwerelosigkeit seinen Schlafsack irgendwo gut befestigen – sonst schwebt man nachts ungewollt durch die Gegend. Auf der ISS kann das nicht passieren, weil jedes Crewmitglied eine eigene Kabine hat. Geschlafen wird natürlich nicht, wenn’s mal auf der Schattenseite der Erde kurz dunkel wird, sondern wenn es der Bordstundenplan vorschreibt. Übrigens schlafen dann alle Crewmitglieder auf der ISS gleichzeitig – niemand hält Wache.
Mit dem Fahrrad um die Erde
Für uns auf der Erde ist Sport eher Freizeit. An Bord der ISS ist er Pflicht! Da die Muskulatur in Schwerelosigkeit kaum beansprucht wird, müssen Astronautinnen und Astronauten auf der ISS regelmäßig ihre Fitness trainieren: zum Beispiel auf dem Laufband. Gummibänder, die man wie Hosenträger anzieht, sorgen dafür, dass man dabei nicht unfreiwillig „abhebt“. Zwei Stunden verbringen die Astronautinnen und Astronauten täglich mit solchen Übungen. Auch ein Fahrrad-Ergometer gehört dazu. Darauf radeln die Crewmitglieder dann gewissermaßen um die Welt: Während sie 90 Minuten in die Pedalen treten, hat die Station einmal die Erde umkreist …
Arbeiten im All
Alles dauert länger als auf der Erde. Die Schwerelosigkeit führt dazu, dass viele Handgriffe, die man im Training mühelos einstudiert hat, auf einmal komplizierter sind. Thomas Reiter, der als deutscher ESA-Astronaut während seiner beiden Flüge insgesamt fast ein Jahr im All verbracht hat, erklärt das an einem ganz einfachen Beispiel: „Wenn du mit einem Schraubenzieher arbeitest und frei in der Station schwebend eine Schraube festdrehen willst, dreht sich nicht die Schraube, sondern du drehst dich selbst in der Luft herum …“. Und Ulf Merbold, der erste westdeutsche Astronaut im All, beschrieb einmal seine erste Bekanntschaft mit der Schwerelosigkeit so: „Um den Helm ausziehen zu können, streift man erst seine Handschuhe ab – und sie schweben sofort davon. Du wünschst dir dann, mehr als nur zwei Hände zu haben, um alles festhalten zu können.“
Die Bordtoilette und der „Handtuch-Trick“
Immer wieder wird gefragt, wie die Toilette an Bord einer Raumstation funktioniert. Die Antwort ist recht einfach: Die Bordtoilette funktioniert wie eine chemische Toilette auf der Erde – mit dem kleinen Unterschied, dass ein leichter Unterdruck dafür sorgt, dass alles sofort abgesaugt und die Umgebungsluft nicht verunreinigt wird. Außerdem wird der Urin gesondert gesammelt und anschließend so gefiltert und bearbeitet, dass daraus Wasser – übrigens in Trinkwasserqualität – zurückgewonnen wird.
Auch im All muss man sich regelmäßig waschen – wozu man nasse Handtücher benutzt, mit denen man sich abreibt. Warum der alte „Handtuch-Trick“ das einzige Hilfsmittel ist? Ganz einfach: Alle Versuche, eine Weltraum-Dusche zu konstruieren, sind bislang gescheitert. Wenn man sich von einem anderen Astronauten bzw. einer anderen Astronautin die Haare schneiden lässt, ist immer neben der Schere gleich ein Staubsauger zur Hand: So verhindert man, dass abgeschnittene Haarspitzen tagelang durch die Luft schweben und sie verunreinigen. Insgesamt sind Hygiene und Sauberkeit sehr wichtig – unter anderem, weil das menschliche Immunsystem weniger leistungsfähig ist als auf der Erde. Deshalb ist auch regelmäßig „Hausputz“ angesagt: Wie im normalen Leben heißt es dann: „Zimmer aufräumen!“
Der Blick auf die Erde
Zu den Besonderheiten eines Raumfluges gehört natürlich vor allem der phantastische Ausblick auf unseren „Blauen Planeten“, die Erde. Nahezu alle Astronautinnen und Astronauten schwärmen davon. In ihrer Freizeit betrachten sie die Welt, die unter oder über ihnen vorbeizieht und halten den Blick auf die Erde in Fotos fest. Sie sehen Kontinente und Meere, Küsten und Wüsten, Gewitter und die Lichtermeere der großen Städte bei Nacht. Und natürlich das zarte Band der Atmosphäre, die unseren Planeten umgibt und die überhaupt erst alles Leben auf ihm möglich macht. Viele Astronautinnen und Astronauten berichten, dass sie so die Verletzlichkeit unserer Umwelt besonders deutlich erkannt haben: Wenn die Erde ein Apfel ist, dann ist die Atmosphäre gerade einmal so dünn wie die Schale dieses Apfels. Unsere Umwelt zu bewahren – das ist eine der wichtigsten Botschaften, mit der viele Raumfahrerinnen und Raumfahrer aus dem All zurückkehren.
Und hier gibt es viele interessante Fotos zum Alltag der Astronautinnen und Astronauten.