Akteure des Energiemarktes nehmen Messnetz Eye2Sky ins Visier
- Das DLR hatte am 2. Juni 2022 zum Workshop „Anwendungsfelder und ökonomischer Nutzen von Kurzzeitvorhersagen“ nach Oldenburg eingeladen
- Rund 40 Gäste, darunter Anlagen- und Netzbetreiber, Energiehändler, Vorhersageanbieter und Forschende, nahmen an der Veranstaltung teil.
- Im Fokus der Diskussionen stand das innovative Messnetzwerk „Eye2Sky“, das das DLR entwickelt und in Nordwestdeutschland installiert hat.
- Schwerpunkte: Energie, Energiemeteorologie
DLR-Workshop zu meteorologischen Kurzfristprognosen eröffnet neue Perspektiven für Anwendungsfelder und Geschäftsmodelle
Welche Bedeutung haben präzise Solarstromprognosen für zukünftige Energiesysteme? Wie lassen sich räumlich und zeitlich hochaufgelöste PV-Ertragsdaten gewinnbringend für Stromhandel und Verteilnetzbetreiber nutzen? – Mit dem Workshop „Anwendungsfelder und ökonomischer Nutzen von Kurzzeitvorhersagen“ hat das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) am 2. Juni 2022 im niedersächsischen Oldenburg erstmals Vertreter aus Forschung, Dienstleistung, Wirtschaft und Energiehandel zu diesem Thema zusammengebracht. Im Fokus der Diskussionen: das innovative Messnetzwerk „Eye2Sky“, das das DLR entwickelt und in Nordwestdeutschland installiert hat. Es liefert einzigartige Vorhersagedaten zu Sonneneinstrahlung und Wolkenzug und soll nun schrittweise an die Bedürfnisse des Energiemarktes angepasst werden.
Die Notwendigkeit verbesserter Vorhersagemöglichkeiten liegt auf der Hand, schließlich wird die zukünftige Stromversorgung nahezu vollständig auf erneuerbaren Energien basieren. Ein Großteil davon wird direkt aus unzähligen, dezentral installierten PV-Anlagen eingespeist. „Damit nimmt jedes Wolkenfeld direkt Einfluss auf unser Stromnetz“, verdeutlicht Dr. Annette Hammer, Mit-Organisatorin aus der Forschungsgruppe Energiemeteorologie am DLR-Institut für Vernetzte Energiesysteme. „So verursachen zum Beispiel Schäfchenwolken lokal hohe Schwankungen in der Solarstromproduktion. Je kleinteiliger der Betrachtungsraum gewählt wird und je kürzer die Zeitskala, desto massiver wirkt sich der Effekt auf das Verteilnetz aus. Präzise Prognosen dieser Schwankungen sind also besonders relevant, sind aber auch am schwierigsten zu generieren“.
Mit dem Ziel, entsprechende Kurzfristvorhersagen für den Energiemarkt treffen zu können, haben Forschende des DLR das Eye2Sky-Messnetz entwickelt. Es besteht aktuell aus 39 Messstandorten auf einem Gebiet von 110 mal 100 Kilometern zwischen Nordsee, niederländischer Grenze und Oldenburg. An zwölf dieser Standorte befinden sich Instrumente zur Messung der Sonneneinstrahlung. Das Herzstück jeder einzelnen Station ist jedoch eine Wolkenkamera, die alle 30 Sekunden eine 360-Grad-Aufnahme „von Horizont bis Horizont“ an einen Hochleistungsrechner des DLR übermittelt. Etwaige räumliche Lücken werden durch Satellitendaten kompensiert.
Diese immense Datenmenge aus Bildern und Bodenmessungen wird mit Hilfe des WOBAS-Modells, das am DLR-Institut für Solarforschung in Almería entwickelt wurde, in Echtzeit- und Prognosewerte für die Sonneneinstrahlung übersetzt. Der Algorithmus ist in der Lage, die Wolken, ihre Bewegungsvektoren und ihre optischen Eigenschaften zu erkennen. Damit kann das Forscherteam nicht nur jede Wolke von der Nordsee bis nach Oldenburg verfolgen, sondern mit Hilfe von Ceilometern auch deren Höhe. „Das ist entscheidend, schließlich beeinflusst nicht die Wolke selbst, sondern ihr Schattenwurf den PV-Ertrag“, erklärt Hammer. Somit ist Eye2Sky in der Lage, hochaufgelöste räumliche und zeitliche Werte der Sonneneinstrahlung bis zu 30 Minuten in die Zukunft vorherzusagen.
Wissenschaftlich gesehen ist Eye2Sky also ein technologisches Highlight. Der Abgleich mit den ökonomischen Interessen der Strommarkt-Akteure hat auf dem Workshop hat vor allem eines verdeutlicht: Übereinstimmung in der Annahme, dass Kurzfristvorhersagen zukünftig ein elementarer Bestandteil des Energiemarktes sein werden. So könnten die Eye2Sky-Daten zur besseren Netzüberwachung dienen und einen wertvollen Beitrag zur Reduktion von Abregelungen leisten. Netzbetreiber könnten den anstehenden Netzausbau effizienter – und damit kostengünstiger – gestalten. Am Strommarkt würde sich im Intraday-Handel die Perspektive eröffnen, das Zeitintervall vor Lieferung von 15 auf sechs bis sieben Minuten zu reduzieren. Und für Anlagenbesitzer bietet sich die Option, den Eigenverbrauch gezielt zu erhöhen.
Konkrete Antworten, etwa zur Detailtiefe der Daten oder zu organisatorischen Strukturen, werden jedoch in kommenden Projekten und Arbeitsgruppen konkretisiert werden müssen. So gibt es Anregungen, dem bislang zu Forschungszwecken installierten stationären Messnetz eine flexiblere Struktur zu geben. So könnten Direktvermarkter mobile Kameras oder Stationen variabel an den Standorten ihrer jeweiligen Vertragspartner positionieren. Denkbar wäre auch ein Geschäftsmodell, wonach Anlagenbetreiber die Wolkenkameras in Eigenregie installieren und ihre Daten über einen Vorhersage-Dienstleister teilen und auswerten lassen. Das Ergebnis wäre ein zunehmend flächendeckendes Netzwerk von Solarparkbetreibern im Stile einer Schwarmintelligenz.
Mit der Diskussion dieser und weiterer interdisziplinär ausgerichteter Anregungen hat das Organisationsteam des Workshops sein wesentliches Ziel erreicht: „Wir wollten direkt von den Akteuren des Energiesektors lernen, welchen konkreten Nutzen sie für Vorhersagen in ihrer konkreten Anwendung erwarten. Gleichzeitig haben wir dargestellt, was aus wissenschaftlich-technischer Sicht möglich ist“, fasst Hammer ihre Eindrücke zur Veranstaltung zusammen. „Damit haben wir die Basis für neue Kooperationen gelegt, um Kurzfristvorhersagen zu einem festen Bestandteil des zukünftigen Energiemarktes zu machen.“