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Vor zehn Jahren: der Meteoritenfall von Tscheljabinsk

Rekonstruktion der Spur des Meteors, der am 15. Februar 2013 über der russischen Stadt Tscheljabinsk explodierte.
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Sandia Labs CC BY-NC-ND 2.0/Olga Kruglova

Alles fing unaufgeregt an, als am 13. Februar 2013 die Medien auf einen erdnahen Vorbeiflug eines kleinen Himmelskörpers aufmerksam wurden und auch beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt dazu Anfragen stellten. 2012 DA14, so die vorläufige Bezeichnung des ungefähr 45 Meter großen Asteroiden, sollte sich zwei Tage später am 15. Februar 2013 um 20:24 Uhr mitteleuropäischer Zeit (MEZ) bis auf etwa 27.700 Kilometer der Erdoberfläche annähern und mit einer Geschwindigkeit von knapp acht Kilometern pro Sekunde über die Insel Sumatra in kürzester Distanz zur Erde hinwegfliegen. Selten kam ein Asteroid dieser Größe bisher der Erde so nahe. Der mitteleuropäisch-abendliche Vorbeiflug von (367943) Duende, wie 2012 DA14 seit dem 17. November 2013 hieß, geriet allerdings schlagartig am Morgen des 15. Februar 2013 aus dem Blickwinkel der Medien und der interessierten Öffentlichkeit. Denn um 4:20 Uhr MEZ, 9:20 Uhr Ortszeit, zerbarst ohne jegliche Vorwarnung und mit einem lauten Knall in etwa 20 Kilometer Höhe ein Meteor nahe der russischen Millionenstadt Tscheljabinsk am Ural.

Die nachfolgende Druck- und Schockwelle breitete sich rechtwinklig zur Flugbahn aus und ließ in der Großstadt weiträumig die Fenster der Häuser bersten. Mehr als 7.000 Gebäude wurden teils erheblich beschädigt. Die herumfliegenden Scherben und Splitter der Glasscheiben verletzten rund anderthalbtausend Menschen, insbesondere diejenigen, die aufgeschreckt ans Zimmerfenster gelaufen waren, um nach der Ursache des Knalls zu sehen. Einige wenige erlitten durch die intensive UV-Strahlung beim Auseinanderbrechen des Meteors einen leichten Sonnenbrand, als er für Sekundenbruchteile 30-mal heller als die Sonne aufstrahlte. Zum Glück verlor aber niemand sein Leben.

Filme und Aufnahmen aus Tscheljabinsk und seinem Umland zeigen beeindruckend, wie der Meteor mit einer ausgeprägten hellen „Rauchfahne“ südlich der Stadt am Himmel entlangzieht und schließlich als greller Feuerball mit einem lauten Knall explodiert, dem noch zwei schwächere Explosionen folgen. Unzählige zentimetergroße Fragmente fielen danach in einem ausgedehnten elliptischen Streufeld zu Boden.

Das größte Fragment des Tscheljabinsk-Meteoriten in der Ausstellung des State Museum of the South Ural History.
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Das Hauptfragment, ein 540 Kilogramm schwerer Meteorit, wurde acht Monate später aus dem Tschebarkul-See, 70 Kilometer westlich von Tscheljabinsk, geborgen, wo man nach dem Impakt zunächst nur ein sechs Meter großes Loch in der gefrorenen Oberfläche des Sees sah. Die Analyse des mit Hilfe von Tauchern aus dem Wasser hochgehievten Schwergewichts und ebenso seiner leichteren „Brüder“ ergab, dass es sich um einen Steinmeteoriten mit einem geringen Eisengehalt handelt, das heißt, um einen sogenannten LL5-Chondriten. Der Meteorit „Chelyabinsk“, so der offizielle Name im Katalog der Meteoritical Society, ist übrigens mit einer Gesamtmasse von rund einer Tonne der fünftschwerste je gefundene Meteoritenfall.

Der weite Weg der Wellen

Bis die Nachricht vom Meteoritenfall aus dem winterlichen Tscheljabinsk Deutschland und Europa erreichte, dauerte es allerdings noch rund vier bis fünf Stunden. Selbst in Russland stand erst nach ein bis zwei Stunden offiziell fest, dass es sich um einen kleinen Asteroiden von 17 bis 20 Meter Durchmesser handelte, der nach dem Eindringen in die Erdatmosphäre zu einem Superboliden geworden war. Die dabei freigesetzte Energie entsprach 500 Kilotonnen TNT. Das entspricht mehr als dem Dreißigfachen der Sprengkraft der Atombombe „Little Boy“, die 1945 auf die japanische Großstadt Hiroshima abgeworfen wurde. In der jüngeren Zeit war nur das Tunguska-Ereignis des Jahres 1908 mit einer geschätzten Wirkung von bis zu 50 Megatonnen TNT noch stärker gewesen.

Die ersten, die hierzulande etwas von der Erschütterung östlich des Urals, mehr als 3.500 Kilometer Luftlinie von Deutschland entfernt, mitbekamen, waren einzelne Erdbebenwarten. Bereits von 4:36 Uhr bis 4:40 Uhr MEZ registrierten unter anderem die Seismometer der Station in Clausthal-Zellerfeld Oberflächenwellen, die aus der Region Tscheljabinsk herrührten. Zufällig hatte sich zudem circa 20 Minuten vor der Detonation des Meteors, 14.000 Kilometer von Tscheljabinsk entfernt, im südpazifischen Tonga-Archipel ein Erdbeben der Stärke 5,8 ereignet, dessen seismische Wellen sich ebenfalls auf den Weg rund um den Globus machten. An bestimmten Orten trafen die Wellen beider Ereignisse nahezu gleichzeitig ein und überlagerten sich. Erdbebenwellen, die hierzulande bereits um 4:22 Uhr MEZ aufgezeichnet wurden, hatten ihren Ursprung nicht in der Uralregion, sondern im Südpazifik.

Im Bayrischen Wald detektierte schließlich die Infraschallstation IS26, eine von sechzig Infraschallstationen eines weltweiten Netzes zur Überwachung des Kernwaffenteststoppabkommens CTBT, kurz nach 8:10 Uhr MEZ das Signal aus Tscheljabinsk nach knapp vierstündiger Laufzeit, in gutem Einklang mit der erwarteten Ausbreitungsgeschwindigkeit dieser luftgetragenen Schallwellen. Ebenfalls war auf Aufnahmen einiger Wettersatelliten die Spur des Meteors in der Atmosphäre deutlich zu sehen und das bereits fünf Minuten vor seinem Zerbersten. Anhand dieser Satellitendaten ließ sich später die wahre Flugbahn zwischen 90 und 20 Kilometer Höhe rekonstruieren.

Die Nachricht vom Einschlag erreicht das DLR

Als die Meldung vom „Meteoritenhagel“ kurz nach neun Uhr MEZ im DLR eintraf, fiel die allererste Reaktion zuerst verhalten bis skeptisch aus, hatte doch gut zwei Jahre zuvor am Heiligabend 2011 das Verglühen einer dritten Sojus-Raketenstufe in der Erdatmosphäre wie ein Meteor ausgesehen. Dass herabstürzende Raketenstufen einen Meteor vortäuschen können, machte vorsichtig. Daher empfahlen die Kollegen des DLR-Instituts für Planetenforschung in Berlin gründlich zu prüfen, was sich in Tscheljabinsk am Vormittag tatsächlich ereignet hatte.

Je weiter der Morgen des 15. Februars voranschritt, desto aufgeregter wurde man in den Redaktionen der Zeitungen und Sendeanstalten. Ab ungefähr zehn Uhr prasselten geradezu die Anfragen auf das DLR ein. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Pressestellen in Köln und in der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR in Bonn nahmen fortan unermüdlich alle journalistischen Anfragen auf und leiteten sie im viertelstündigen Takt an den jeweils „freien“ DLR-Experten zum Interview weiter, um der Öffentlichkeit das Geschehen seriös und wissenschaftlich einwandfrei zu erläutern.

In der Regel standen dabei Fragen, was genau in der Uralregion passiert ist, wie häufig mit solch einem Meteoritenereignis zu rechnen sei und wie man sich davor schützen könne, im Vordergrund. Auch die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen dem Meteoriten und dem kleinen Asteroiden 2012 DA14 bestünde, wurde durchweg gestellt. Denkbar wäre gewesen, dass beide Körper gleichen Ursprungs waren, der eine vom anderen irgendwann einmal abgebrochen war, und sich beide voneinander getrennt auf annähernd gleichen Bahnen bewegten. Doch eine kurze Analyse der Asteroidenbahnen schloss eine solche Gemeinsamkeit aus. Der Superbolid und 2012 DA14 hatten rein zufällig am selben Tag ein Rendezvous mit der Erde, das nur der Letzte überlebte.

Die Tücken des Sonnenlichts

Freilich stand auch am 15. Februar 2013 akut die Frage im Raum, ob man den kleinen Superbolid-Asteroiden nicht hätte früher entdecken können, sodass die Bevölkerung rechtzeitig gewarnt gewesen wäre. Da das Objekt jedoch nur die Größe eines Mehrfamilienhauses hatte und vor allem aus horizontnaher Richtung der aufgehenden Sonne anflog, war es so gut wie ausgeschlossen, diesen Wanderer zwischen den Planeten auf seinem Kollisionskurs beizeiten aufzufinden. Ein Objekt, das sich perspektivisch exakt vor der Sonne befindet, zeigt dem irdischen Beobachter seine dunkle Seite wie der Neumond, bei geringem Sonnenabstand gehen marginal zur Erde hin reflektierende Flächen im gleißenden Licht der Sonne unter. Größere, unbekannte Asteroiden können dabei zu einer ernstzunehmenden Gefahr werden, wenn sie sich im atmosphärischen Streulicht der Sonne „anschleichen“, im Morgengrauen aus östlicher und im Abendrot aus westlicher Richtung. Erst bei einem größeren Winkelabstand von der Sonne reflektieren sie genügend Strahlung zum Beobachter und fallen mit ihrer Bewegung im Kontrast zum dunklen Weltall auf. Vom Mond und insbesondere vom inneren Lagrange-Punkt L1 aus könnten hochauflösende Beobachtungen die Chance bieten, dass man solche „unsichtbaren“ Objekte, die aus Sonnenrichtung kommen, früher entdeckt.

Künstlerische Darstellung eines Asteroiden

Asteroidenabwehr und -ablenkung

Außer den Redaktionen und Sendeanstalten wollten auch ministeriale Entscheidungsträger gut informiert und in der Sache sprechfähig gemacht werden, tagte doch – zufällig zur gleichen Zeit – vom 11. bis 21. Februar in Wien ein hochrangig besetztes wissenschaftlich-technisches Unterkomitee des ‚UN Committee on the Peaceful Uses of Outer Space‘ (UN-COPUOS), in dem es auf internationaler Ebene um Fragen zu Space Debris („Weltraumschrott“), Weltraumwetter und auch zu erdnahen Objekten und deren wirksame Abwehr ging (Protokoll der Tagung). Zwar spielte das Meteoritenereignis von Tscheljabinsk für die Beschlüsse keine entscheidende Rolle, man darf aber annehmen, dass allen Beteiligten dadurch unmittelbar vor Augen geführt wurde, wie essentiell eine effektive Asteroidenüberwachung und -abwehr ist.

Heute nach zehn Jahren lassen die ausgezeichneten Ergebnisse der NASA-Mission DART (Double Asteroid Redirection Test) hoffen, dass langfristig gegen potenziell bedrohliche Asteroiden wirksame Abwehrmaßnahmen etabliert werden. Bei dieser Mission wurde eine Raumsonde gezielt auf dem Asteroidenmond Dimorphos am 27. September 2022 zum Einschlag gebracht, um seine Bahn um den größeren Asteroiden Didymos zu verändern, was auch tatsächlich gelang. Mit der nachfolgenden Hera-Mission der ESA, die Ende 2024 zu dem Doppelasteroiden starten soll, werden die Folgen des Einschlags dann genau untersucht.

Bei den Planetenforschern im DLR Berlin-Adlershof wird seit gut zweieinhalb Jahrzehnten über das Thema Asteroidenabwehr intensiv nachgedacht. So leitete der inzwischen emeritierte Professor Alan Harris für insgesamt sieben Jahre das EU-Projekt NEOShield („Near-Earth Objects Shield“), in dem erforscht wurde, wie Einschläge von Asteroiden und Kometen verhindert werden können. Untersucht wurde unter anderem die Möglichkeit, Asteroiden durch den Einschlag einer schweren Raumsonde (wie dann bei DART geschehen), durch einen „Schwerkrafttraktor“ oder durch eine Explosion von ihrer bedrohlichen Umlaufbahn abzulenken. Ziel war es auch, mit anderen Weltraumorganisationen wie der NASA, ESA und der UN eine weltweit koordinierte Vorgehensweise zu entwickeln, die sofort und dann in Kraft tritt, wenn eine konkrete Einschlagsgefahr für die Erde erkannt wird.

Diese Illustration zeigt eine mögliche Kollision des Mondes mit einem großen Asteroiden in seiner weiteren Entstehungsphase.
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Ron Miller

Der achte Kontinent – geboren aus einem Impakt

Das Superboliden-Ereignis von Tscheljabinsk vor zehn Jahren wird nicht das letzte dieser Art sein. Dass wir auf einem verletzbaren Planeten leben, zeigt schon der Blick durch ein Fernrohr auf die mit Einschlagskratern übersäte Mondoberfläche. Zwar schützt uns – anders als beim Mond – die irdische Atmosphäre relativ gut vor kleineren und kleinsten Asteroiden, aber schon 20 Meter große Körper wie in Tscheljabinsk oder sogar noch größere Boliden bleiben weiterhin gefährlich und können äußerst zerstörerisch sein – gegenwärtig kennt man etwa 27.000 Asteroiden, die größer als 100 Meter sind und sich auf erdbahnkreuzenden Bahnen befinden. Glücklicherweise ist keiner gegenwärtig auf Kollisionskurs.

Für einen Mega-Impakt mit dramatischen Auswirkungen steht beispielhaft das Aussterben der Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren, das durch einen zehn bis 15 Kilometer großen Asteroiden ausgelöst wurde. Ob frühere Massenaussterben ebenfalls auf einen verheerenden Impakt eines Asteroiden zurückzuführen sind, ist wissenschaftlich nach wie vor umstritten. Wenn demnächst wieder Menschen ihren Fuß auf den Mond setzen, sollten sie sich durchaus bewusst sein, dass sie einen Himmelskörper betreten, der nach dem gewaltigsten Einschlag, den die Erde erlebt hat, aus ihr entstanden ist. Sie betreten gleichsam den achten Kontinent der Erde.