| Raumfahrt

Leben oder kein Leben auf der Venus? Ein DLR-FAQ zum Spurengas Phosphin

Künstlerische Darstellung der Venus, in deren Atmosphäre Astronomen 2020 möglicherweise erstmals das Spurengas Phosphin detektiert haben. Dafür wurden Daten des James-Clerk-Maxwell-Teleskops auf dem Mauna Kea (Hawaii) und des Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (Chile) ausgewertet. Phosphin könnte in der oberen Schicht der Wolkendecke vorhanden sein. Allerdings ist die Beobachtung in der Fachwelt umstritten.
Credit:
ESO/M. Kornmesser/L. Calçada & NASA/JPL/Caltech (CC BY 2.0)

Im Jahr 2020 richteten sich die Blicke der Planetenforschungscommunity und der interessierten Öffentlichkeit auf die Venus. Ein Forschungsteam der britischen Universität Cardiff hatte erstmals das Gas Phosphin in der oberen Wolkenschicht unseres inneren Nachbarplaneten nachgewiesen. Phosphin (PH3) entsteht auf der Erde zum einen durch organische Verwitterungsprozesse oder wird zum anderen – etwa für die Anwendung als Dünger – künstlich erzeugt. Ein Nachweis auf der Venus ist damit direkt mit der Frage nach außerirdischem Leben verbunden. Wurden 2020 also über die Messung von Phosphin indirekt Spuren von Leben auf dem Erdnachbarn entdeckt? Es wäre eine Sensation gewesen. Oder war es doch viel Lärm um nichts?

Nachdem das Echo in Medien und dem Internet groß war, kam fast genauso schnell die erste Ernüchterung. So wurde bald Kritik und sogar Widerspruch laut: Der Nachweis sei statistisch nicht signifikant, sagten die einen, selbst das Vorhandensein von Phosphin müsse nicht bedeuten, dass es biologischen Ursprungs ist, betonten die anderen. In der Folge wurden zusätzliche Beobachtungen und Messungen mit Teleskopen durchgeführt. Es muss betont werden, dass auch die Autoren der Cardiff-Studie nie den Anspruch erhoben haben, in der Venusatmosphäre Spuren von Leben gefunden zu haben. Weitere Studien konnten zumeist kein Phosphin in der Venusatmosphäre nachweisen. Im Sommer 2023 meldete sich dann das Team der erstmaligen Verkündung aus Cardiff ein weiteres Mal zu Wort: Sie haben Phosphin mit dem James Clark Maxwell Telescope auf Hawaii erneut detektieren können.

Was ist nun der aktuelle Stand der Dinge? Können wir auf Leben auf der Venus schließen oder nicht? Und kann ein Team des DLR-Instituts für Planetenforschung in Berlin mehr Licht ins Dunkel bringen? Nach dem vielen Hin und Her in den knapp drei Jahre nach dem Rummel um die Detektion von Phosphin auf der Venus haben wir die am häufigsten gestellten Fragen und Antworten zusammengestellt:

Warum gab es den Hype um Phosphin auf der Venus?

Phosphin kann ein Biomarker sein, der, wie schon erwähnt, auf der Erde entweder organischen Ursprungs ist oder künstlich erzeugt wird. Phosphor, neben Wasserstoff das zweite Element, aus dem sich Phosphin zusammensetzt, ist existenziell für das Leben auf der Erde, weil alle wichtigen Lebensbausteine Phosphor enthalten, etwa auch die DNS (Desoxyribonukleinsäure), die Trägerin der Erbinformation. Ob Phosphin in der Venusatmosphäre überhaupt vorkommt und wenn ja, in welcher Menge, ist daher ein großes Thema in der Planetenforschung. Der Nachweis außerirdischen Lebens wäre eine der größten Sensationen der Wissenschaftsgeschichte.

Die Venus ist global und permanent von Wolken aus Schwefelsäure eingehüllt, die jeden Blick auf die heiße, feste Oberfläche in den optischen Wellenlängen unmöglich machen. Die 2020 veröffentlichten Beobachtungen des Moleküls Phosphin deuten auf eine Höhe von mindestens 53 bis 61 Kilometer über der Oberfläche für die Existenz von Phosphin hin. Dieses Bild wurde 2016 vom japanischen Venusorbiter Akatsuki in Wellenlängen des UV-Lichts aufgenommen.
Credit:
Planet-C Project Team

Wie kam es zu der Kontroverse?

Die seit 2020 veröffentlichten Beobachtungen und Auswertungen sind sehr widersprüchlich: So wurden zum einen sehr unterschiedliche Konzentrationen von PH3 entdeckt, zum anderen wurde sogar ausgeschlossen, dass Phosphin überhaupt ein Bestandteil in der Planetenatmosphäre der Venus ist. Die erste veröffentlichte Konzentration des Cardiff-Teams im Jahr 2020 lag bei 20 plus/minus 10 ppb in der Wolkendecke der Venus (Greaves et al., 2020) und sorgte für Aufregung in der Community. Das „ppb“ steht für „parts per billion“, das heißt auf ein Teilchen Phosphin kommen eine Milliarde andere Atmosphärenteilchen. Die Auswertung der gleichen Daten durch eine andere Forschungsgruppe konnte den Wert nicht bestätigten (Snellen et al., 2020). Es gab weitere Messungen verschiedener Gruppen, die den Wert für PH3 in der Venus-Atmosphäre zu geringeren Konzentrationen nach unten verschoben.

Von Bord der fliegenden Sternwarte SOFIA (Stratosphären-Observatorium für Infrarot-Astronomie), einem gemeinsamen Forschungsflugzeug von NASA und DLR, wurde 2021 nach spektralen PH3-Signaturen in der Atmosphäre der Venus gesucht. Die Auswertung dieser Daten ergab eine obere Grenze bei einem ebenfalls sehr kleinen PH3-Wert (Cordiner et al., 2022).

Frühe, damals sensationelle Aufnahmen von der Venus aus der Nähe übertrug die NASA-Raumsonde Mariner 10 im Februar 1978 auf ihrem Weg zum Merkur. Die Bilddaten wurden jüngst überarbeitet und (rechts) kontrastverstärkt. Es sind Falschfarben-Bilder, mit denen die dynamischen Prozesse in der Venusatmosphäre besser dargestellt werden können. Die Wolken aus Schwefelsäure umhüllen den Planeten global in einer Höhe von 50 bis 60 Kilometer. Dort herrscht ein atmosphärischer Druck, der vergleichbar mit dem auf der Erde ist. In dieser Höhe rasen die Wolken in Geschwindigkeiten von bis zu 250 Kilometer pro Stunde um den Planeten, 50 Mal schneller als der Planet rotiert.
Credit:
NASA/JPL-Caltech (Kevin M. Gill)

Warum muss Phosphin nicht zwingend ein Hinweis auf Leben sein?

Ein Nachweis von PH3 wäre noch kein Beweis für Leben, denn es könnten auch abiotische Prozesse  – also solche ohne Leben – sein, die dieses Spurengas erzeugen. Es gilt also herauszufinden, ob die Menge Phosphin, die man möglicherweise entdeckt hat, wirklich ein Hinweis auf Leben ist. Dazu muss man die anderen abiotischen Prozesse kennen. Nur wenn man alle abiotischen Quellen von PH3 ausschließen kann oder diese zu schwach sind, um die gemessene Menge auf der Venus nachzuweisen, könnte es durch Organismen erzeugt worden sein.

Welche Prozesse PH3 nicht-biologisch auf der Venus erzeugt haben könnten, haben kürzlich Fabian Wunderlich und ein Team vom DLR-Institut für Planetenforschung in einem Fachartikel in Astronomy & Astrophysics dargestellt. Dazu haben sie die abiotischen Reaktionsketten, die Phosphin entstehen lassen, in Form von Modellrechnungen bestimmt.

Nur mit Radardaten ist es möglich, die geologischen Strukturen auf der Venusoberfläche zu erfassen – optische Kameras können nicht durch die Wolkendecke blicken. Die NASA-Raumsonde Magellan hat in den 1990er-Jahren eine fast vollständig von vulkanischen Prozessen geformte Venusoberfläche enthüllt, die viele wissenschaftliche Fragen aufwarf.
Credit:
NASA/JPL

Wie sehen die Modellrechnungen des DLR aus und welche Konsequenzen ergeben sich?

Fabian Wunderlich, John Lee Grenfell und Heike Rauer der DLR-Planetenforschung, die sich für die Studie verantwortlich zeichnen, verwenden in einem sogenannten photochemischen 1D-Modell mehr Details und neuere Daten als andere Modelle (Wunderlich et al., 2023). Sie haben unter anderem das bestehende Modell um 79 Reaktionen für insgesamt 13 Spezies erweitert, die Phosphor enthalten. Die Arbeit zeigt: Ja, man kann eine kleine Menge von PH3 in einer Höhe zwischen 50 und 60 Kilometer (in der Wolkendecke der Venus) durch rein abiotische Reaktionen reproduzieren.

Allerdings sind die Ungenauigkeiten der Modellrechnungen sehr groß. Die Menge an Phosphin konnte sich dabei – je nach Szenario – um sechs Größenordnungen, also den Faktor 1.000.000, unterscheiden. Man braucht somit bessere Kenntnis über die atmosphärischen Prozesse, an denen Phosphor beteiligt ist. Ebenso braucht man genauere Beobachtungen von Lebensformen auf der Erde, die Phosphor produzieren und bei denen mit Phosphor verknüpfte Prozesse ablaufen. Um die Frage beantworten zu können, ob PH3 eine Biosignatur ist, wäre der Nachweis anderer Phosphorverbindungen wie etwa Phosphormonoxid hilfreich. Dieses entsteht abiotisch in der unteren Atmosphäre der Venus – wahrscheinlich durch den Zerfall größerer beobachteter Moleküle, die Phosphor enthalten – und wird dann in die oberen Schichten transportiert.

In jedem Fall lieferte die DLR-Arbeit für die künftige Beobachtung und Modellierung der Venusatmosphäre wichtige Informationen und stellt kritische Fragen, sowohl für die beobachtende und modellierende Forschung als auch die Community, die Reaktionsraten im Labor bestimmt.

Nach mehr als zwei Jahrzehnten der Auswertung der Messungen der NASA-Mission Magellan aus den 90ern haben sich sehr viele Fragen zur Entstehung und geologischen Entwicklung der Venus ergeben. Sie sollen mit neuen Raumfahrtmissionen beantwortet werden. Warum hat sich beispielsweise die Venus – fast gleich groß wie die Erde, mit fast derselben Masse und ganz ähnlichem geochemischem „Inventar“ – so anders entwickelt als unser Planet? Und gab es auch auf der Venus einst Wasser, vielleicht sogar Leben? Die ESA-Mission EnVision wird sich im nächsten Jahrzehnt diesen Fragen widmen. Das DLR entwickelt einen Teil des Spektrometers für die Mission.
Credit:
ESA/VR2Planets/Damia Bouic

Welche Weltraummissionen könnten Aufklärung bringen?

Die ESA-Mission JUICE, an der auch das DLR beteiligt ist, könnte neue Erkenntnisse bringen. JUICE (Jupiter Icy Moons Explorer) wird nämlich der Venus auf dem Weg ins Jupitersystem einen Besuch abstatten. Ein naher Vorbeiflug zur Beschleunigung und zur Veränderung der ellipsenförmigen Flugbahn steht im August 2025 an. Das JUICE-Instrument SWI (Submillimeter Wave Instrument), unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung entwickelt und gebaut, wird in der Lage sein, sehr geringe Phosphin-Konzentrationen aufzuspüren.

Animation des Vorbeiflugs der Raumsonde JUICE am Jupiter und seinen Monden
Credit:
ESA/ATG medialab (Sonde); NASA/JPL/DLR (Jupiter, Monde)

Off-topic für alle Raumfahrt- und Jupiterinteressierte

Die Beiträge des DLR zur JUICE-Mission werden nach Ankunft im Jupitersystem zum Einsatz kommen. Unsere Planetenforschung ist mit dem Instrument GALA und der Kamera JANUS sowie durch weitere, zum Teil von der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR geförderte wissenschaftliche Team-Mitgliedschaften an der Mission beteiligt.

Mehr zur Mission JUICE gibt es hier im Blog unter dem Tag "JUICE \ GALA" sowie auf unserer Missionsseite auf DLR.de.