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Erde statt Weltraum: Satelliten-Software am Teilchenbeschleuniger getestet

Paul Scherrer Institut
Ein Blick auf das Paul Scherrer Institut von der Aare aus.

Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal einem Teilchenbeschleuniger so nahekommen würde – und doch stehe ich hier am Paul Scherrer Institut in der Schweiz an solch einer beeindruckenden Anlage. Normalerweise bin ich als Entwicklerin von Onboard-Software für Raumfahrzeuge schon froh, wenn die richtigen Lämpchen blinken. Auch hier sind Lämpchen, aber es ist dennoch ganz anders. Mitten in der Nacht arbeiten wir in einer fast völlig menschenleeren, riesigen Forschungsanlage. Das heißt nicht, dass es ruhig ist: Durch die vielen technischen Anlagen, die rund um die Uhr laufen, gibt es immer eine Kulisse aus blinkenden Statuslichtern, laut rauschenden Lüftungsanlagen und vereinzelt piependen Geräten. Tagsüber ist der von der Beschleunigeranlage erzeugte Protonenstrahl für Krebspatientinnen und -patienten, die eine Protonentherapie erhalten, reserviert. Und in vier Nächten erzeugt er nun für das DLR-Projekt ScOSA Weltraumbedingungen.

In dem Projekt geht es um die Auswirkungen von Weltraumstrahlung auf elektronische Bauteile und die darauf laufende Software. Ich entwickle eine Anwendung, die durch Strahlung verursachte Fehler findet. Nächstes Jahr soll ein Satellit starten, auf dem ScOSA und damit auch meine Anwendung installiert ist. Da kam mir die Möglichkeit, eine Woche lang die Protonenbeschleunigeranlage in der Schweiz nutzen zu können, sehr gelegen: Ein Strahlungstest am Boden kann nicht nur sicherstellen, dass sich die Anwendung wie erwartet verhält, sondern auch wichtige Vergleichsdaten liefern. Zwar kann man mit Simulationen recht gut bestimmen, welche Strahlung ein Satellit auf welcher Umlaufbahn und bei welcher Sonnenaktivität vorfindet – was das aber konkret für die Anzahl der Fehler bedeutet, hängt von vielen weiteren Faktoren ab und ist schwer vorherzusagen.

Ausrichtung der Testhardware
Die Testhardware wird mithilfe einer Lasermarkierung ausgerichtet, damit die Strahlung das Board an der richtigen Stelle trifft.

Nicht nur ein Prototyp, sondern ein Aufbau wie für den Flug im Orbit

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf hatte ich mit Unterstützung meiner Kolleginnen und Kollegen im DLR-Institut für Softwaretechnologie  einen Antrag für das Programm RADNEXT (RADiation facility Network for the Exploration of effects for industrY and research) geschrieben. RADNEXT ermöglicht Strahlungstests zu Forschungszwecken. Einige Wochen später kam die gute Nachricht: Der Antrag wurde angenommen und ich würde mit zwei Kollegen in die Schweiz fahren! Sofort steckte nicht nur ich, sondern das ganze Team bis zum Hals in den Vorbereitungen. Da eines unserer gesteckten Ziele der Vergleich mit einem Flug im Orbit war, mussten wir mit unserem Testaufbau so nah wie möglich an die Flugmission herankommen. Für mich bedeutete das vor allem, meine Applikation auf einen Entwicklungsstand zu bringen, der zuverlässig funktioniert und keine großen Änderungen mehr erfordert. Für meine Kolleginnen und Kollegen vom Institut für Raumfahrtsysteme hieß das, dass wir von ihrer Hardware nicht nur einen Prototypen brauchten, sondern eine Version, die dem Endergebnis sehr nahe kommt.

Nachdem diese Vorbereitungen – mit viel Motivation und Kaffee – abgeschlossen waren, standen wir vor der nächsten Herausforderung: Da die Schweiz kein EU-Land ist, mussten wir uns mit bürokratischen Hürden wie Zollpapieren und dem Transport der Hardware auseinandersetzen. Nach einigem Hin und Her entschieden wir uns schließlich, die Hardware mit der gesamten Elektronik per Kurier zu verschicken – auch wenn es dem Hardware-Team nach der vielen Arbeit sichtlich schwerfiel, alles aus der Hand zu geben.

Testvorgang
Der Protonenstrahl wird durch sogenannte Degrader (kupferfarben) abgeschwächt, um auf das richtige Energielevel gebracht zu werden. Anschließend wird er durch den rechteckigen Ausschnitt des sogenannten Collimators (Mitte) in die richtige Form gebracht und trifft schließlich auf die Testhardware.

Auspacken, aufbauen, loslegen!

Als nicht nur wir, sondern auch die Kiste mit unserem Test-Equipment wohlbehalten am Paul Scherrer Institut angekommen waren, blieb uns nicht viel Zeit, um uns von der riesigen Forschungsanlage beeindrucken zu lassen. Wir bauten unsere Hardware in der Bestrahlungskammer auf, der für uns zuständige Mitarbeiter kalibrierte den Protonenstrahl und führte eine erste Messung gemeinsam mit uns durch. Dann ging es auch schon los. Während ich die vielen Bildschirme im Kontrollraum im Blick hatte, war einer meiner Kollegen damit beschäftigt, unsere Messergebnisse zu beobachten und zu sichern. Als sich das eingespielt hat, darf ich tatsächlich selbst unsere Strahlungsparameter auswählen und setzen. Aus Sicherheitsgründen ist die Strahlungskammer abgeschirmt. Im Kontrollraum sehen wir, wie sich die Anzeigen auf dem Bildschirm ändern. Und natürlich, dass unser Experiment anfängt, Fehler zu finden.

Jetzt heißt es „nur“ noch, die vielen Daten, die wir im Laufe der Woche gesammelt haben, auszuwerten. Dann haben wir nicht nur die angestrebten Vergleichswerte, sondern auch direkt Erfahrungen gewonnen. Die Messungen – sei es aus dem Orbit oder aus dem Teilchenbeschleuniger – können genutzt werden, um die Onboard-Software in Zukunft noch robuster gegenüber Strahlungsfehlern zu machen.

Die Testhardware
Die Hardware für das ScOSA-Flight-Experiment kombiniert performante und zuverlässige Rechenknoten zu einem leistungsfähigen und dennoch leistungsstarken System. Das Experiment zur Fehlererkennung läuft auf einem leistungsstarken Rechenknoten, einem sogenannten HPN (High Performance Node), der hier zu sehen ist.
Fiona Brömer
Mit der Testhardware im Kontrollraum des PSI, im Hintergrund sind die Kontrollen für den Protonenstrahl zu sehen.

Dieses RADNEXT-Projekt wurde durch das Horizon 2020-Programm der Europäischen Union gefördert.

Das Paul Scherrer Institut (PSI) ist das größte Forschungsinstitut für Natur- und Ingenieurwissenschaften in der Schweiz. Die Forschungsarbeiten konzentrieren sich auf die Schwerpunkte Zukunftstechnologien, Energie und Klima, Health Innovation sowie Grundlagen der Natur. Der Protonenbeschleuniger des PSI steht seit einigen Jahren auch zum Testen von Raumfahrtkomponenten zur Verfügung.