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Das Unsichtbare sichtbar machen

Chris Willert vom Institut für Antriebstechnik macht Strömungen sichtbar.

Chris Willert beschäftigt sich mit dem, was das menschliche Auge selbst nicht erfassen kann. Mit den Strömungen, die sich an und in Turbinen, Tragflächen, Brennkammern und Verdichtern entwickeln. Aber auch hinter den Flügeln von Windrädern oder an Fahrzeugen aus der Automobilindustrie. Überall dort, wo Fluide wie Luft oder Wasser Objekte umströmen, muss Messtechnik das Unsichtbare sichtbar machen. Dafür beherrschen Chris Willert und sein Team der Abteilung „Triebwerksmesstechnik“ am Institut für Antriebstechnik eine Vielzahl an Verfahren. „Die optische Messtechnik als Gebiet ist sehr heterogen und hat viele Disziplinen“, sagt er. Gemeinsam ist aber allen Messungen: Die Umgebung, in der sie durchgeführt werden, ist immer sehr komplex und meistens keine Routine.

Versuchsobjekte von der Turbine bis zum Sektglas

Die Kamera auf der Fensterbank ist nach außen ausgerichtet. Auf Chris Willerts Bildschirm ist nur ein Rauschen vor schwarzem Hintergrund zu sehen. Dann bildet sich der Körper eines Mannes ab: Auf dem Fußweg vor dem Institutsgebäude geht ein Mitarbeiter gerade Richtung Kantine und seine Umrisse sind als bewegliche Punkte auf dem Kamerabild zu sehen. Die Kamera ist eine sogenannte Event-Kamera und registriert für jeden einzelnen Pixel, ob sich der Lichteinfall geändert hat. Eine Technologie, die neu ist. Und für Chris Willert einer von diesen „Geistesblitzen“, die ihn bisweilen treffen und die sein Hirn auf Hochtouren laufen lassen und ihn beschäftigen, bis er eine Idee für eine Umsetzung hat. Nachdem er in einem Online-Blog über die neue Kameratechnologie gelesen hatte, war ihm schnell klar: „Die muss ich haben!“ Wie kann man die Kamera für die Aufnahme von Messdaten einsetzen? Und für welche am besten? Zuhause hat der Messtechniker dann erst einmal ganz pragmatisch ausprobiert, was die Kamera kann. Die Regentropfen vorm Fenster, die der Wind schräg vor das Kameraobjektiv treibt. Der Luftblasen im perlenden Sekt, der eigentlich fürs Weihnachtsessen gedacht war. Das alles wurde während des Lockdowns in Corona-Zeiten zum Versuchsobjekt in seinem improvisierten Labor zuhause, um herauszufinden, wie die neue Technologie für Tests an Turbinen, Brennkammern oder Verdichtern genutzt werden könnte.

Pionier in der Strömungsmesstechnik

Ohne Messtechnik gibt es keine Daten für die Wissenschaft.

Ähnlich hat es damals schon funktioniert, als Chris Willert noch in San Diego in den USA lebte und nach dem Studium der angewandten Mechanik im Bereich experimenteller Strömungsmechanik promovierte. Mehr durch Zufall kam er dort als Quereinsteiger in die Bildaufzeichnung und deren Digitalisierung. Fotos zeigen ihn Ende der 80er Jahre mit klobigen Computern und Fernsehbildschirmen – er war einer der ersten, die auf dem Gebiet der digitalen Bildverarbeitung für die Strömungsmesstechnik forschte. Elektronik und Programmierung gehörten dazu, auch wenn er diese Disziplinen nicht studiert hatte. Aber wenn Chris Willert an einem Thema dran ist, der „Ideenblitz“ eingeschlagen hat, bleibt er dran. „Die Messtechnik, die wir damals innerhalb kürzester Zeit entwickelt haben, ist als heute Standard in der experimentellen Strömungsmechanik“, sagt er. Und dass, obwohl die Strömungsmechanik damals eigentlich gar nicht sein bestes Fach an der Universität gewesen sei. Heute ist er für die „Particle Image Velocimetry“-Messtechnik (PIV), bei der ein Laser kleinste Partikel in den Strömungen anstrahlt und deren Bewegung von einer Hochgeschwindigkeitskamera erfasst werden, weltweit ein anerkannter Experte und wurde im Juni 2023 auch schon gemeinsam mit seinem damaligen Doktorvater für diese Leistung ausgezeichnet. „Sozusagen für mein Lebenswerk.“

Vom Labor in die großen Prüfstände

Beim DLR arbeitet Chris Willert mittlerweile seit 28 Jahren. Nach seiner Post-Doc-Zeit am Caltech in Pasadena kam der damals 30-Jährige als Gastwissenschaftler zunächst nur für ein Jahr ans DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik in Göttingen. Der Bereich der experimentellen Verfahren hatte ihn nach Deutschland gelockt. Aus der Rückkehr in die USA wurde schließlich dann doch nichts: Chris Willert entschied sich, zu bleiben, und übertrug gemeinsam mit einem Team seine digitale PIV-Messtechnik in die großen Windkanäle, für die Nutzung in industrienahen Anwendungen. 1997 wechselte er an das DLR-Institut für Antriebstechnik in Köln, wo er mittlerweile ein 12-köpfiges Team leitet, das in den Prüfständen für DLR-Forschende und externe Partner wie Rolls Royce, General Electric, Siemens oder MTU Aero Engines die Messdaten der Versuche erfasst, aber auch Referenzdaten für die Numeriker des Instituts liefert. „Wir entwickeln und betreiben optische Messtechnik, die unter extrem hohen Schalldrücken, in rauen, rußigen Umgebungen und bei hohen Temperaturen präzise funktionieren und zuverlässig muss“, erläutert Chris Willert. Laser und Kameras müssen die Strömung zwischen schnell drehenden Triebwerksschaufeln erfassen oder in Brennkammern komplexe Verbrennungsvorgänge beobachten.

Dienstleister und Ideengeber

Leidenschaft und Begeisterung für neue Ideen - Chris Willert ist immer offen für neue Technologien.

Neben dieser Arbeit als „Dienstleister“ für die anderen Abteilungen des Instituts sieht Chris Willert sich aber auch als Ideengeber. „In der Entwicklung einer Messtechnik steckt oft ganz viel Herzblut von mir drin“, sagt er. Denn er lässt nicht locker, bis die Lösung gefunden ist. So zum Beispiel, als es darum ging, LEDs statt Laser einzusetzen. Und wieder die Frage: Wie lassen sich die kostengünstigeren Hochleistungs-LEDs für die Strömungsmesstechnik einsetzen? Mittlerweile wird auch diese Idee für die Forschung eingesetzt. Chris Willert geht spielerisch und kreativ an neue Techniken heran. „Ich vertraue oft aufs Bauchgefühl, hinter dem aber auch sehr viel Erfahrung steckt.“ Dass er in seinem Studium in den USA nicht direkt auf die Strömungsmechanik gesetzt hatte, ist kein Hindernis. Im Gegenteil: „Unter den Physikern bin ich der Mechaniker, unter den Mechanikern bin ich der Physiker. Ich sehe das als Vorteil, beides zu können – ich kenne den gesamten Prozess von der Idee bis zum fertigen Produkt.“