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Mit Psychologie zu den passenden Kandidat/innen

Selfie Alexander Gerst
Leben und Arbeiten im Weltall - Astronauten müssen viele Kompetenzen mitbringen.
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ESA/NASA

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Wenn in den nächsten Jahrzehnten wieder Menschen den Mond betreten, stehen die Chancen gut, dass Viktor Oubaid den/die europäische/n Astronauten/in schon einmal vor sich sitzen hatte. Das er weiß, wie diese Person im Team arbeitet, wie gut ihre oder seine Merkfähigkeit und ihre oder sein Konzentrationsvermögen ist und auch, mit welcher Motivation die/der Astronaut/in sich für diesen etwas speziellen Beruf beworben hat. Oubaid ist Psychologe am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin und gehörte sowohl bei der Astronaut/innenklasse von 2008 als auch bei der neuen Astronaut/innenklasse von 2022 zum Auswahlteam.

DLR-Psychologe Viktor Oubaid

Es hätte auch eine Laufbahn an der Universität in Halle werden können, denn da war der Diplompsychologe nach seinem Studium in Bielefeld und seiner Promotion in Heidelberg eigentlich sehr gut angekommen. Wäre ihm damals nicht die Stellenanzeige des DLR für einen Luft- und Raumfahrtpsychologen unter die Augen gekommen. Und hätte er als kleines Kind vielleicht nicht vor dem Fernseher gesessen und mitverfolgt, wie mit Neil Armstrong erstmals ein Mensch einen außerirdischen Himmelskörper betrat. Das alles hat dazu geführt, dass Oubaid seit mittlerweile 23 Jahren Flugzeugpilot/innen, Fluglots/innen, Helikopterpilot/innen und halt potentielle Astronaut/innen auf ihre Eignung hin testet. „Mir war einfach klar, dass ich in meinem Leben damit zu tun haben wollte“, sagt der 57-Jährige.

Kognitiv fit für den Job im All

Rund 1500 geeignete Bewerbende hatte die europäische Raumfahrtagentur ESA aus den vielen Bewerbungen herausgefiltert und sie für psychologische Eignungstests zum DLR nach Hamburg geschickt. 1500 mal haben Oubaid und sein Team untersucht, wer zunächst einmal kognitiv und mental das Zeug dafür mitbringt, mit einer Rakete in Richtung Schwerelosigkeit zu starten und dort vielleicht über Monate hinweg zu leben und zu arbeiten. Merkfähigkeit, Konzentrationsvermögen, Multitasking-Qualitäten, Wahrnehmungsgeschwindigkeit, Technikwissen, Englischkenntnisse und sogar das Kopfrechnen gehörten zu den mentalen Leistungen, die in Tests untersucht und anschließend von den DLR-Psycholog/innen ausgewertet wurden.

Test der kognitiven und mentalen Fähigkeiten

Eine Empfehlung für die zweite Stufe haben allerdings nur gut 300 Bewerbenden erhalten. „Wir empfehlen der ESA nur Personen, die in allen Bereichen eine bestimmte Leistung erreicht haben“, erläutert DLR-Wissenschaftler Oubaid. „Wer eine schlechte Merkfähigkeit hat, kann das nicht einfach mit Kopfrechnen ausgleichen.“ Bereits vor ihren Tests erhalten die Bewerbenden Trainingsmodule, um sich bestmöglich vorzubereiten und mit den Tests vertraut zu machen. Eines allerdings wird nie mitgeteilt: „Was die perfekte Mischung ist, verraten wir niemandem – das bleibt wie das Rezept einer Spezialsoße geheim“.

Die Persönlichkeit kennenlernen

Die zweite psychologische Auswahlstufe fand dann dort statt, wo die Astronaut/innen von 2022 auch viel Trainingszeit verbringen werden: im Europäischen Astronautenzentrum EAC der ESA. „Dabei haben wir uns mit jeder und jedem der Kandidatinnen und Kandidaten noch eingehender befasst.“ Wie verhalten sich die Bewerbenden im Team? Wie teilen sie Informationen, wie planen sie Prozesse und wie kommen sie zu Entscheidungen? Neben diesen beobachteten Situationen machten sich die Psycholog/innen auch in mehreren Interviews ein Bild der Motivation, der Persönlichkeit und der Lebenswege der Bewerbenden. „Wir wollen die Kandidat/innen als Persönlichkeiten kennenlernen“, betont Viktor Oubaid. „Als Astronaut/in schwebt man in einer Röhre im All, es ist laut, ständig ist das Licht an, das Arbeitspensum ist hoch und man hat fast konstant andere Menschen um sich – und das über ein halbes Jahr hinweg.“ Wer als introvertierter Mensch dem ausgesetzt würde, habe schnell Schwierigkeiten, unter diesen Bedingungen konzentriert dauerhaft arbeiten zu können. Zu extrovertierte Menschen würden hingegen vielleicht viel reden und würden Arbeiten, die alleine durchgeführt werden müssten, nicht gerne übernehmen. „Gesucht werden ausgeglichene Menschen mit gefestigter Persönlichkeit, keine Extremcharaktere.“

Handy aus und Kopf leer

Oubaid stimmt sich auf diese Testtage routiniert ein. Morgens ist das Handy aus. Damit versucht er schon einmal auszuschließen, dass eine ärgerliche Email den Psychologen beeinflusst in die Interviews gehen lässt. Wer vielleicht gerade genau am Testtag mit einem Autounfall oder familiären Problemen zur Arbeit kommt, muss sich fragen, ob er oder sie für die Kandidat/innentests eingesetzt werden kann. Ein vollgestopftes Hirn, dass sich mit vielen Dingen gleichzeitig beschäftigt, ist nicht gewünscht: „Wir kommen mit größtmöglicher innerer „Stille“ im Kopf zu den psychologischen Untersuchungen.“ Was ist, wenn die Tür aufgeht und der eintretende Bewerber einen Psychologen massiv an einen unsympathischen Verwandten erinnert? Oder die gemeinsame Heimatstadt einem die Kandidatin schon mal sehr sympathisch macht? „Wir sind Profis und erkennen die eigenen, manchmal schlichtweg menschlichen Beurteilungsverzerrungen.“ Und außerdem: In der zweiten Stufe der psychologischen Beurteilung treffen die Bewerbenden auf ein großes und diverses Team, das gemeinsam die Einschätzung vornimmt. „Man hat aufgrund der eigenen Erfahrung auch oft ein intuitives Gefühl – und dem gegenüber bin ich immer sehr skeptisch. Die Kunst liegt darin, die Intuition nicht zu ignorieren, aber sie mit nachvollziehbaren Fakten zu bestätigen oder zu widerlegen.“

Berufe, in denen es zur Sache geht

Arbeiten unter besonderen Bedingungen
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ESA/NASA

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Die zukünftigen Astronaut/innen sind nicht die einzigen, mit denen sich die Psycholog/innen des DLR-Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin beschäftigen. „Eigentlich sind es die Berufe, bei denen es ein bisschen zur Sache geht“, sagt Oubaid. Fluglots/innen, Helikopterpilot/innen für Noteinsätze, Airline-Pilot/innen, früher auch einmal Forschungstaucher/innen. „Wir arbeiten mit unserer Forschung daran, dass diese Industrie- und Gesellschaftsbereiche sicherer werden.“ Wenn beispielsweise überlegt wird, Flugzeuge in Zukunft nur noch mit einem/r Piloten/in zu besetzen, hat das große Auswirkungen auf diese Pilot/innen. Ein Berufsleben, bei dem nur noch mit Menschen am Funk oder mit Künstlichen Intelligenzen zusammengearbeitet wird, muss erforscht werden. „Das hat Konsequenzen auf die Arbeitssituation, die Ausbildung und vor allem auf die psychische Belastung der Pilot/innen.“ Auch bei der Auswahl der richtigen Proband/innen, die in den Bettruhestudien des DLR über Wochen hinweg in der Forschungseinrichtung :envihab wohnen, ist die rund 50 Personen starke Abteilung Luft- und Raumfahrtpsychologie im Einsatz.

Der Erfolg bestätigt die Expertise der Luft- und Raumfahrtpsycholog/innen. Von den getesteten und ausgewählten Flugzeugpilot/innen absolvieren 95 Prozent ihre jahrzehntelange Berufskarriere zwischenfallfrei. Und die Astronaut/innen von 2008 haben sich bei ihren Einsätzen in der Schwerelosigkeit als fehlerfrei und von der amerikanischen Weltraumbehörde NASA sehr geschätzt erwiesen. „Also liegen wir mit unseren wissenschaftlich fundierten Empfehlungen wohl sehr richtig.“ Und auch wenn das Rezept für gute Astronaut/innen nicht verraten wird, wird schnell deutlich, wie lang die Liste der notwendigen Bestandteile ist: Ausgeglichenheit, Teamfähigkeit, Nervenstärke, Engagement und Belastbarkeit sind nur einige der hohen Anforderungen.