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Mieses Karma hinter EXPRESS-Rack 3?

Schulterblick: So verfolgen die Bodenteams Matthias bei seiner Arbeit. Zu Beginn hat er eine Videokamera zum Live-Downlink ausgerichtet, damit wir ihn dann in Echtzeit unterstützen können.
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NASA

Es mag sich vielleicht jetzt etwas esoterisch anhören, aber schlechtes Karma hat eine genau eingrenzbare Verortung. Nämlich exakt hinter unserem Nutzlastschrank EXPRESS-Rack 3 im Columbus-Modul, location code “Col1A1”. Er ist für die schnelle Durchführung kleinerer Experimente gedacht, beispielsweise zur biologischen Grundlagenforschung, hier vor allem im Bereich der Pflanzenphysiologie.

Dort sitzt unser WOOV8 (WOOV steht für Water On-Off Valve, also etwas frei übersetzt: Wasserabsperrhahn), was zusammen mit WOOV6 und WOOV7 festlegt, ob das Kühlwasser unseres Columbus-Moduls durch den Wärmetauscher fließt, der unsere Abwärme an die nachgelagerten Kühlkreisläufe außerhalb der Internationalen Raumstation ISS abgibt oder ob es diesen Wärmetauscher „bypasst“.

Das schlechte Karma hat vor einigen Jahren dafür gesorgt, dass sich dieses Ventil nicht mehr schließen ließ. Glück im Unglück: Hätte es sich in der „geschlossen“-Stellung festgefressen - oder wäre das WOOV7 betroffen gewesen -, dann wären die Folgen noch wesentlich gravierender gewesen.

 
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NASA
So sahen die elektrischen Kontakte im Januar 2021 aus, bevor Kathleen Rubins sie gründlichst gereinigt hat.
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NASA

Es gab dann mehrere Versuche, das Ventil vom Boden aus oder auch mit Unterstützung der Astronauten wieder frei zu bekommen, leider erfolglos. Schließlich die Entscheidung: Es muss ausgetauscht werden. Ein neues Ventil „Mark 2“ wurde hergestellt, an Bord gebracht, in einer komplizierten Operation 2013 dann durch die Astronauten ausgetauscht.

Freilich befand es sich wieder hinter dem EXPRESS-Rack 3, also dauerte es nicht lange, bis auch das neue WOOV8 wieder ein Problem hatte. Diesmal war es ein Sensor, der keine korrekte Information über den Öffnungszustand des Ventils mehr lieferte. Same procedure as last time: Ein neues Ventil wurde gebaut und geflogen - vielleicht dann in der Nähe des EXPRESS-Rack 3 gelagert (müsste ich mal recherchieren, irgendwie muss es jedenfalls mit dem schlechten Karma in Berührung gekommen sein...), und diesmal stellte NASA-Astronautin Kathleen Rubins vor dem Einbau verdächtige Kondensationsspuren nahe der elektrischen Kontakte fest. Also kein Einbau, sondern eine gründliche Reinigung!

Der Einbau gelang dann schließlich dem ESA-Astronauten Thomas Pesquet Ende Oktober diesen Jahres, aber – das schlechte Karma schlug wieder zu – es stellte sich heraus, dass ein Stecker bereits bei der Herstellung falsch montiert worden war. Nur mit einem um 90 Grad rotierten Stecker kann das Ventil sauber an seinem engen Platz installiert und angeschlossen werden…

Matthias Maurer hatte nun in den vergangenen Wochen an einem Reserveventil an Bord ausprobiert, ob der ursprünglich nicht geplante Umbau des Steckers an Bord prinzipiell möglich wäre - und hatte Erfolg! Gestern führte er nun die gleiche Operation am „echten WOOV8“ durch. Sehr aufwändig war dabei bereits das Herankommen an das Ventil: Express Rack 3 vorsichtig nach vorne klappen, für Licht und ausreichend Belüftung sorgen, dann komplexes Arbeiten in der Schwerelosigkeit. Zwar hat man keine Probleme, auch die unmöglichsten Stellen schwebenderweise zu erreichen, aber sich selber auch etwa beim Schraubendrehen „in Stellung zu halten“, das erfordert schon Geschick, Erfahrung und buchstäblich „Hände und Füße“.

Um an das WOOV8 heranzukommen, muss erstmal Platz geschaffen werden. ER-3 muss nach vorne gekippt werden, dann können die Astronauten die feuerfesten weißen Verkleidungen entfernen.
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Nachdem Matthias dann den erfolgreichen Abschluss seiner Arbeiten am WOOV8 über Funk an unser Kontrollzentrum gemeldet hatte, machten sich Flugdirektor Stefan Neumann und sein Team gleich an die Probe aufs Exempel: Ventil über Kommandos ansteuern, die Telemetriedaten des Ventils beobachten. Und ihnen blieb fast das Herz stehen, als die Telemetrie wieder nicht die erwarteten Werte zeigte. In einer solchen Situation sind dann im Flight Control Team verdammt gute Nerven gefragt: Wie macht man weiter? Haben wir alle Informationen, um die Situation korrekt beurteilen zu können? Was sagt man dem Astronauten? Ist die Lage sicher? Kann man mit den anderen Kontrollzentren ad hoc mehr Crewzeit für Matthias verhandeln? Und das Ganze in sehr kurzer Zeit, nicht nur Matthias an Bord wartet auf eine Entscheidung, auch die anderen Kontrollzentren. Um Zeit zu gewinnen, wurde Matthias nach kurzer Lagebeurteilung etwas früher zum Mittagessen geschickt, während am Boden hektische Diskussionen mit den Experten, den Herstellerfirmen, dem „Engineering Support“ weitergingen.

Als Matthias wieder im Blickfeld der Columbus-Kamera auftaucht, gibt es bereits einen Plan: Bitte noch einmal abstecken, die Steckverbindung mit dem Staubsauger reinigen, nach Schäden überprüfen, dann wieder anstecken. Und hoffen, dass sich inzwischen auch das schlechte Karma verflüchtigt hat.

Spannende Momente, Kommandos ans WOOV8 - und tatsächlich geht der Status auf „OPEN“!!  Tiefes Durchatmen bei allen Beteiligten. Für Matthias standen noch einige abschließende Arbeiten an, die von uns unterstützt wurden, aber die Erleichterung im Kontrollraum war schon durchaus greif- und auf den Gesichtern sichtbar.

Dieses Bild hat Matthias Maurer nach vollendeter Arbeit aufgenommen, um das neue WOOV8 und seinen Einbau zu dokumentieren.
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NASA

In den nächsten Tagen stehen jetzt noch einmal ausführliche Analysen durch die Experten für das Thermal Control System (TCS) an, aber wir hoffen, dass wir die verschiedenen Sonderprozeduren, die wir in den letzten Jahren an unserer Konsole hatten, um mit dem fehlerhaften WOOV8 umzugehen, jetzt endlich in die Tonne treten können. Und wir auch das schlechte Karma endgültig los sind hinter unserem EXPRESS-Rack 3...