Corona und dann? Neue DLR-Prognose für den Luftverkehr bis 2040
Die Coronakrise sorgte für eine historische Zäsur im weltweiten Luftverkehr. Mittlerweile scheint die Talsohle der Entwicklung durchschritten. Werden sich die Pandemie und die Veränderungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik langfristig auf die globale Luftverkehrsentwicklung auswirken? Wenn ja, wie werden diese Auswirkungen aussehen? Diese Fragen hat kürzlich das DLR-Institut für Flughafenwesen und Luftverkehr untersucht.
Das Team erstellte eine neue Langfristprognose des Luftverkehrs unter Berücksichtigung der COVID-19-Krise bis zum Jahr 2040. Es hat die Flughäfen identifiziert, für die bei weiterem Verkehrswachstum Engpässe erwartet werden und mögliche Strategien diskutiert, wie diese behoben werden können.
Langzeitprognosen sind in Krisenzeiten immer schwer. Mit ihnen gehen Unsicherheiten einher, die das Skizzieren wahrscheinlicher Langfristentwicklungen erschweren. Darum erstellte das Team zwei Szenarien mit unterschiedlichen Ausprägungen. Die Ergebnisse sind jüngst im internationalen Fachjournal aerospace erschienen.
„Flughafenscharfe“ Prognosen mit neuem DLR-Modell
Die Forschenden wandten eine neue Prognosemethode an: Sie kann die weltweit als Referenz genutzte Prognose der internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO weitgehend reproduzieren – bei angenommen gleichen externen Eingabeparametern wie zum Beispiel das erwartete Wirtschaftswachstum. Bei der Prognose der ICAO, aber auch bei den regelmäßig veröffentlichen Langzeitprognosen großer Luftfahrzeughersteller wie Airbus und Boeing, werden die Auswirkungen von Kapazitätsengpässen an Flughäfen aber nicht berücksichtigt. Bei ihnen wird angenommen, dass immer genügend Kapazität zur Bewältigung der erwarteten Verkehrsnachfrage zeitgerecht zur Verfügung steht.
Die DLR-Methode ist dagegen von vorneherein darauf ausgerichtet, „flughafenscharf“ zu prognostizieren. Sie ist geeignet, nach einem einheitlichen, transparenten Verfahren Prognosen für jeden Flughafen weltweit zu erstellen. So ist es auch möglich, lokale Kapazitätsengpässe zu entdecken und ihre Auswirkungen auf das Luftverkehrssystem in eigenen Modellen zu untersuchen.
Die Kapazitätskrise der internationalen Verkehrsflughäfen, insbesondere der verkehrsreichen Hubs im globalen Flughafennetz, ist infolge des dramatischen Verkehrsrückgangs 2020 vorerst in den verkehrspolitischen Hintergrund getreten. Aufgrund des relativ stetigen Verkehrswachstums über mehrere Jahrzehnte und der in vielen Weltregionen noch unterentwickelten Luftverkehrsnachfrage ist aber auf längere Sicht mit einer Fortsetzung des Verkehrswachstums zu rechnen – auch, wenn das erst nach einer mehrjährigen, durch eine nur schrittweise erfolgende Aufhebung von Reiserestriktionen bedingte Erholungsphase geschieht.
Wie schon erwähnt, ist es bei einer Krise wie Corona schwer, eine Erholungsdauer zu prognostizieren. Darum hat unser DLR-Team die Prognose für die globale Flugnachfrage und -angebote der nächsten Jahre für zwei Szenarien erstellt: Im ersten Szenario („Low“) wird eine dauerhafte Auswirkung der Pandemie auf die langfristige Verkehrsentwicklung angenommen, im zweiten Szenario („High“) dagegen eine schnelle vollständige Erholung des Verkehrs und eine ungestörte Weiterentwicklung bis zum Jahre 2040.
Szenario High – Szenario Low
Im optimistischen Szenario 2 wird ein Wachstum des globalen Passagierverkehrs von durchschnittlich 3,5 Prozent pro Jahr erwartet, im Szenario 1 dagegen nur von 2,8 Prozent. Für 2040 ergibt sich in Szenario 2 ein Aufkommen von 9,4 Milliarden Passagieren (als Basisjahr dient 2018 mit 4,4 Milliarden Passagiere). Im eher realistischen Szenario 1 errechneten die Kolleginnen und Kollegen ein Aufkommen von 8,1 Milliarden Passagieren pro Jahr.
In beiden Szenarien werden trotz geplanter Kapazitätserweiterungen an Flughäfen Engpässe bestehen bleiben. So werden im Prognosejahr noch circa 260 Millionen Passagiere (Szenario 2) und noch etwa 120 Millionen Passagiere (Szenario 1) nicht bedient werden können. Das wird hauptsächlich die großen Flughäfen, also die wichtigsten Knoten des weltweiten Flughafennetzes, betreffen.
Theoretisch steht den Flughäfen mit Kapazitätsproblemen ein ganzes Bündel an operativen und regulativen Maßnahmen oder Investitionsmöglichkeiten zur Verfügung. In der Praxis wurden allerdings hauptsächlich zwei Strategien angewendet: Wo es möglich war, wurden neue Start- und Landbahnen gebaut und es wurden Flugzeuge mit mehr Sitzplätzen einsetzt. Der Nutzen solcher Maßnahmen variiert unter anderem mit der Größe und Kapazität der Flughäfen.
Mehrere sinnvolle Maßnahmenbündel zeigen die DLR-Experten im aerospace-Artikel auf und diskutieren sie – sowohl generell für die konkreten Flughäfen als auch generell für unterschiedliche Flughafentypen und ausgewählte Beispiele.
Als ein Ergebnis bleibt festzuhalten, dass optimale Lösungen zur Behebung oder Reduzierung der Kapazitätsprobleme zwar von Flughafen zu Flughafen variieren, dass sich aber doch allgemeingültige Strategien für den Einsatz verschiedener Maßnahmen ergeben. Auch weitere Lösungswege wie Verkehrsverlagerung, der Anschluss der Flughäfen an das Schnellbahnnetz oder eine Veränderung beim Geschäftsreiseverhalten können mitberücksichtigt werden.
Mehr über die DLR-Prognosemethode
Das neutrale und transparente Modell ist in der Lage, zahlreiche Fragestellungen zu beantworten, die für die Strategieüberlegungen in der regionalen, deutschen, europäischen und globalen Luftfahrtindustrie, für Entscheidungsträger in Politik, der Verwaltung, bei Anlegern, der Industrie sowie den Flughäfen, Fluggesellschaften und Verbänden sehr bedeutsam sein können.
Das Modell ist flexibel. Durch den Austausch von Rahmendaten ist es möglich, auf individuelle Fragestellungen und Wünsche einzugehen. Dabei können sowohl Flugbewegungen und Passagieraufkommen, die für den Ausbau von Flughäfen von Bedeutung sind, als auch der künftige Einsatz und die Anzahl an Flugzeugen prognostiziert werden, also Werte, die unter anderem für Investoren wichtig sind. Durch die Kombination mit Prognoseflugplänen lassen sich zusätzlich die künftigen Umweltauswirkungen darstellen.
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