AGBRESA: HyperCampus - Wie beeinflusst künstliche Schwerkraft die Plastizität des Gehirns?
"Bitte nicht stören – Experiment läuft!" steht auf dem Schild an der geschlossenen Probandentür. Normalerweise stehen die meisten Türen zu den Probandenzimmern tagsüber auf, ein reges Kommen und Gehen herrscht, Probandinnen und Probanden werden mit Transportliegen aus ihren Einzelzimmern abgeholt und zu den zahlreichen Experimenten in den nahegelegenen Modulen in der luft- und raumfahrtmedizinischen Forschungsanlage :envihab gebracht.
Doch einige Versuche finden auch im eigenen Zimmer im eigenen Bett statt, so wie gerade das HyperCampus-Experiment, das von Alexander Stahn, Assistant Professor of Medical Science in Psychiatry an der Perelman School of Medicine der University of Pennsylvania, im Auftrag der NASA durchgeführt wird. Dafür statten die beiden DLR-Mitarbeiterinnen Dorothee Fischer und Sarah Weidenfeld die Probanden mit einem Laptop aus, der für sie gut erreichbar an einem Schwenkarm angebracht ist. So erledigen die Probanden einen Teil der HyperCampus-Experimente ganz entspannt im Liegen in ihrem zum Kopf hin um 6 Grad geneigten Bett.
Mit den HyperCampus-Experimenten, die auch im benachbarten Magnetresonanztomographen (MRT) stattfinden, soll herausgefunden werden, welche Auswirkung die Bettruhe auf den Verlauf der strukturellen und funktionellen Änderungen im Gehirn hat und welchen Unterschied dabei die künstliche Gravitation macht. Die künstliche Schwerkraft wird durch die täglichen Zentrifugenfahrten der Probanden, die als terrestrische Astronauten fungieren, erzeugt. Um die Veränderungen im Gehirn und dort speziell im Bereich des Hippocampus, der für die Navigation zuständig ist, feststellen zu können, müssen die Probanden aber mitarbeiten: Sie absolvieren vor, während und nach der Bettruhe verschiedene Kognitionstests, sowohl im Zimmer als auch im MRT-Scanner. Dabei wird auch die von ihnen erbrachte Leistung in den Kognitionstests miteinbezogen, um zu testen, inwiefern sich Veränderungen im Gehirn auch im Leistungsvermögen zeigen.
Kognitive Fähigkeit und künstliche Schwerkraft
Letztendlich möchte Stahn mit der Datenauswertung wichtige Erkenntnisse darüber gewinnen, wie sich Menschen im dreidimensionalen Raum orientieren und zurechtfinden. Hintergrund seiner Experimentreihe in der AGBRESA-Studie ist, dass die amerikanische Weltraumbehörde NASA die Risiken der bemannten Raumfahrt gerade für Langzeitmissionen für die menschliche Gesundheit minimieren möchte. Ein wichtiger Aspekt sind dabei neurokognitive Beeinträchtigungen durch die negativen Auswirkungen der Schwerelosigkeit im All. Die künstliche Schwerkraft (Artificial Gravity) könnte dabei eine große Rolle spielen. Und genau das ist Gegenstand der AGBRESA-Studie im :envihab in Köln: Mit den regelmäßigen Zentrifugenfahrten wird bei zwei Dritteln der Probanden künstliche Schwerkraft als Trainingsmethode getestet, ein Drittel der Probanden gehört zur Kontrollgruppe, die keine Fahrten auf der Kurzarm-Zentrifuge absolvieren.
In der Forschung gäbe es bisher kaum Untersuchungen zum neurophysiologischen Zusammenhang von kognitiver Leistungsveränderung und künstlicher Schwerkraft, so Alexander Stahn: "Während die körperliche Dekonditonierung des Herzkreislaufsystems und der Abbau von Muskulatur und Knochen vergleichsweise gut erforscht ist, wissen wir nur sehr wenig darüber, was mit dem Gehirn passiert. Über die Auswirkungen der intermittierenden künstlichen Schwerkraft auf strukturelle Veränderungen des Gehirns beim Menschen existieren bislang keine Untersuchungen." Dem will er mit seinen kognitiven Untersuchungsanordnungen in der AGBRESA-Studie abhelfen: "Neueste Untersuchungen deuten außerdem darauf hin, dass Bettruhe deutliche Veränderungen in der räumlichen Navigation, der Gehirnstruktur und -funktion hervorruft. Unser übergeordnetes Ziel ist es, die Auswirkungen von 60 Tagen Kopftieflage-Bettruhe mit und ohne künstliche Gravitation als Gegenmaßnahme zur strukturellen und funktionellen Neuroplastizität und ihrer verhaltensbezogenen Bedeutung zu untersuchen." Dabei werden vor allem das räumliche Denken und die neuronalen Verbindungen beobachtet, indem eine Reihe von hochmodernen Hirnbildgebungssequenzen mit innovativen Verfahren zur Beurteilung der kognitiven Leistung einschließlich Virtual-Reality-Technologien kombiniert wird.
Kognitionstests im Liegen im 6 Grad geneigten Bett
Mit den Kognitionstests durchlaufen die Probanden zwei Testbatterien mit jeweils mehreren Tests, von denen einige ähnlich wie klassische Intelligenztests aufgebaut sind und logisches Denken und die Gedächtnisleistung erfassen, andere wiederum stellen die Verarbeitungsgeschwindigkeit und das Reaktionsvermögen fest. Wie risikobereit ist der Proband und wie ist seine Gedächtnisleistung heute?
Um diese Entwicklung im Verlauf der gesamten Studie aufzeigen zu können, finden die Tests während der gesamten dreimonatigen AGBRESA-Studie statt und werden regelmäßig wiederholt. Eine Einheit dauert zwischen 20 und 30 Minuten. "Aus Erfahrung wissen wir, dass nach längerer körperlicher Inaktivität oft die Geschwindigkeit der Genauigkeit vorgezogen wird. Wir müssen die Prozesse, die für solche Entscheidungen erforderlich sind, verstehen, um die Risiken bei Weltraummissionen zu minimieren", so Alexander Stahn. Die Probanden navigieren bei den Tests teilweise in irdischen Landschaften und Labyrinthen, teilweise aber auch in einem Sternenfeld ohne genaue Bezugspunkte. Um die Aufgaben möglichst realitätsnah zu gestalten, nutzen die Probanden bei der AGBRESA-Studie teilweise statt der computerbasierten Anwendung eine Virtual-Reality-Brille, mit der sie sich in einem simulierten dreidimensionalen ganz natürlich bewegen und Aufgaben lösen.
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