Stahl-Kathedrale für Raketenstarts
Niemand bleibt unbeeindruckt, wenn er den Skylark Tower betritt. Niemand. Der Turm des schwedischen Raketenstartplatzes Esrange ist eine Kathedrale - 30 Meter, imposant, im Inneren hallen die Geräusche. Wer unten steht und die metallene Führungsschiene nach oben blickt, fühlt sich klein. Die Kathedrale für die Wissenschaft ist rostig und düster, denn die vielen Raketenstarts seit 1972 haben ihre Spuren hinterlassen. Geht alles nach Plan und spielt das Wetter mit, wird dort am 22. Juni 2015 die Höhenforschungsrakete MAPHEUS-5 des DLR starten. Mit an Bord: Vier Experimente aus Materialphysik und Biologie.
Noch wird in der als "Church" bezeichneten Halle gearbeitet, geschraubt und getestet. Nebenan montiert das Team der Mobilen Raketenbasis (MORABA) des DLR die beiden Motoren, die die zweistufige Rakete bis in eine Höhe von 260 Kilometern befördern sollen. Die Belohnung für diesen Aufwand: Mehr als sechs Minuten Schwerelosigkeit, in der Pflanzen auf die ungewohnte Situation reagieren, Metallproben geschmolzen und geröntgt werden oder kleine Kugeln unter Kamera-Beobachtung miteinander kollidieren sollen.
Arabidopsis Thaliana, auch "Ackerschmalwand" genannt, werden bereits seit einigen Tagen im Labor in Schweden gezüchtet. Auf der Erde wissen Pflanzen ganz genau, wo oben und unten ist - in der Schwerelosigkeit spüren sie enorm schnell, dass diese Orientierung nicht mehr stimmt: Proteine, Stoffwechsel und das Ablesen von Genen verändern sich. Tausende von kleinen Pflanzen werden deshalb in Schweden erfahren, wie es ist, den Boden unter den Wurzeln zu verlieren und sich blitzschnell anpassen zu müssen. Letztendlich wollen die Wissenschaftler des DLR-Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin herausfinden, was Pflanzen benötigen, um auch unter Schwerelosigkeit gut funktionieren zu können.
Das Institut für Materialphysik im Weltraum schickt mit X-RISE eine Röntgenanlage durch die Schwerelosigkeit. Noch während die Rakete am Boden steht, wird ein Ofen eine Aluminium-Germanium-Proben aufschmelzen und auf eine einheitliche Temperatur bringen. In der Schwerelosigkeit wird dann der Erstarrungsvorgang mit Röntgenradiographie dokumentiert. In einem weiteren Ofen wird die Diffusion von verschiedenen Aluminium-Nickel-Legierungen ohne den störenden Einfluss der Erdanziehungskraft untersucht. Im Sekundentakt wird dabei eine Kamera die Veränderungen aufzeichnen. Im elektrostatischen Levitator (GOLD-ESL; Gravity Impact on liquid Drops - Elektrostatik Levitated) werden Proben schwebend - ohne Berührung mit einer Tiegelwand - geschmolzen und untersucht. Bisher kann lediglich der elektromagnetische Levitator (EML) in der Schwerelosigkeit eingesetzt werden und ist auf der Internationalen Raumstation ISS in Betrieb. Mit dem Experiment MEGraMA 2.0 werden 5000 Metallkügelchen in die Schwerelosigkeit gebracht und mit einer 3D-Kamera aufgezeichnet, wie sie durch Zusammenstöße ihre Energie abgeben.
Seit gestern ist der obere Teil der Rakete mit Experimenten, Servicemodul und Bergungssystem zusammengebaut - fünf Meter reichen MAPHEUS-5 in die Höhe. Nun steht heute der "Flight Simulation Test" an: Wie bei einem Start laufen Kommunikation und Kontrolle der Experimente ab und werden auf ihre Funktionstüchtigkeit beim Flug getestet. Mittlerweile ist der erste Motor der zweistufigen Rakete vorbereitet, der zweite Motor erhält heute seine Düse und seine Finnen. Sobald Ober- und Unterstufe anschließend miteinander verbunden sind, wird dieser Raketenteil in den Skylark Tower transportiert und dort an der Rampe aufgerichtet.
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