Mit Blaulicht ins Weltall?
Über Pfingsten waren meine Familie und ich im Chiemgau - und die Medien waren voll von der dramatischen Rettungsaktion im Untersberg, wo ein Höhlenforscher am 8. Juni durch einen Steinschlag in einem Kilometer Tiefe ein schweres Schädelhirntrauma erlitt. Alleine das Erreichen des Verletzten dauert um die zwölf Stunden. Die Kommunikation ist auf Personen beschränkt, die Nachrichten aus der Tiefe bringen - mit heutzutage fast unvorstellbaren, eben zwölf Stunden Verzögerung.
Wie man den schwerverletzten Forscher durch die Höhle retten kann, ist für mich kaum vorstellbar: Einmal war ich selbst in einer solch großen Höhle - sicher eine deutlich leichter begehbare. Aber auch hier gab es große Höhenunterschiede, senkrechte und grundlose Spalten, über die man im Grätschschritt balancieren musste, enge Kriechstrecken, auf denen man den Helm absetzen musste, um durchzupassen und Tunnel, die die mögliche Einatemtiefe limitierten. Wie man da noch einen Verletzten transportieren sollte ist mir schleierhaft.
Für mich ist der Verletzte eine Art Kollege von Alexander Gerst. Auch Alex hat sich vor seiner Astronautenauswahl mit der Erforschung des Erdinneren befasst: er mehr als Vulkanologe, der verunglückte Wissenschaftler mehr als Speläologe. Beide sind im Auftrag der Wissenschaft unterwegs in unzugänglichen Räumen, der eine im Weltraum, der andere unter der Erde.
Trotzdem erscheint mir die medizinische Versorgung auf der ISS in einem Notfall vergleichsweise deutlich besser zu sein. Vor ihrem Start ins All durchlaufen die Astronauten eine exzellente notfallmedizinische Ausbildung:
Jeweils zwei Mitglieder der dreiköpfigen Sojus-Besatzung sind als Crew Medical Officer (CMO) ausgebildet. In der Uniklinik Köln und später auch während seines Trainings in Houston hat Alex viele Stunden damit verbracht zu lernen, wie man eine Infusionsnadel setzt, wie man einen Leblosen reanimiert, wie man intubiert, offene Wunden näht und schmerzende Zähne behandelt oder wenn nötig auch zieht. Dafür steht auf der ISS umfangreiches medizinisches Gerät zur Verfügung. Wie mir Petra Mittler erklärt, ist ein Defibrillator, ein Ultraschallgerät, eine speziell auf die Bedürfnisse im Weltall abgestimmte Krankentrage (die Helfer auf der ISS haben keine Hand frei, um sich festzuhalten und nicht davonzuschweben - und auch der Patient sollte dies nicht tun), eine umfangreiche Bordapotheke sowie medizinische Utensilien wie Spritzen, Zangen, Scheren und Schienen an Bord.
Zusätzlich steht am Boden jederzeit ein Expertenteam zur Verfügung. Im Falle des Falles haben wir in unserem Flugkontrollteam immer einen Biomedical Engineer (ESA BME) wie Petra, entweder direkt an der Konsole oder zumindest "on call", also binnen weniger Minuten verfügbar. Dieser kann auch den Flugarzt sofort "alarmieren" - in Houston ist ein Flugarzt sogar meist direkt an der Konsole. Bei einem medizinischen Zwischenfall kümmern wir uns sofort darum, dass der Flugarzt mit den betroffenen Astronauten auf der ISS schnellstens eine Videokonferenz abhalten kann. Houston stellt dafür eine beinahe unterbrechungsfreie Funkverbindung mit der ISS zur Verfügung. Um die Privatsphäre zu wahren, bekomme ich als Flugdirektor in einem solchen Fall keine medizinischen Details mitgeteilt, sondern nur den Einfluss, den der Vorfall auf unsere Mission hat: "Steht die nächsten 24 Stunden nicht zur Verfügung".
Im schlimmsten Fall ist die Erde in unmittelbarer Reichweite: Die Sojusbesatzung des betroffenen Crew-Mitglieds kann unverzüglich das Abdocken und eine Landung vorbereiten, sodass der Verletzte oder Erkrankte theoretisch nach nur 6 Stunden in einem Krankenhaus behandelt werden könnte.
So gesehen ist die ISS wesentlich besser medizinisch versorgt als die Höhle im Untersberg - letztere mit einer "Luftlinienentfernung" zum nächsten Krankenhaus von nur ein paar Kilometern...
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