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Nach Unipräsident und DLR-Vorstandsvorsitzendem nun ESA-Generaldirektor?

1995 wurde ich zum Präsidenten der damaligen Technischen Hochschule Darmstadt gewählt, und damit ein gutes Stück aus meiner Tätigkeit als Ingenieur und Bauingenieurprofessor "herausgerissen". Die Entscheidung fiel mir nicht leicht. Mein langjähriger Mentor, Prof. Gert König, schenkte mir das Buch von Max Weber "Wissenschaft als Beruf (1917/19). Politik als Beruf (1919)" mit der Widmung: "Lieber Herr Wörner, für die nächsten 10 Jahre wünsche ich Ihnen eine gute Wahl, ob Sie lieber S.6ff (Wissenschaft als Beruf) oder S. 73ff (Politik als Beruf) beherzigen.“

Meine Entscheidung zugunsten der Hochschulpolitik fiel mir schwer, wurde aber durch die Tatsache erleichtert, dass ich als Honorarprofessor weiterhin in Forschung und Lehre tätig sein konnte. 2007 kam dann nach fast zwölf Jahren der Wechsel zum DLR und wieder stand ich vor einer ähnlichen Fragestellung. Das Ergebnis der Entscheidungssuche ist bekannt, aber auch jetzt leiste ich mir das Vergnügen als beurlaubter Professor der TU Darmstadt, Vorlesungen durchzuführen und Forschungsarbeiten zu betreuen, entsprechend der zeitlichen Inanspruchnahme seitens meiner Haupttätigkeit allerdings nur in sehr beschränktem Umfang.

Im Zusammenhang mit der anstehenden Entscheidung bezüglich des nächsten ESA-Generaldirektors sahen viele den Vorstandsvorsitzenden des DLR als den "natürlichen" Kandidaten. Natürlich geht ein Reiz davon aus, europaweit für die Geschicke der Raumfahrt zuständig zu sein. Zugleich halte ich es für verkehrt – und für die Richtigkeit dieser Aussage gibt es (leider) viele Belege – dass man um der angeblichen Karriere wegen immer "höher" (im Sinne allgemeiner Beurteilung oder Einkommen) hinaus will. Nach reiflicher Überlegung und unter Berücksichtigung vieler Aspekte habe ich dem Bundeswirtschaftsminister mitgeteilt, dass ich nicht kandidieren möchte. Diese Entscheidung hat viel mit Gefühl zu tun, denn das DLR, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, seine Tätigkeitsbereiche (Luftfahrt, Raumfahrt, Energie, Verkehr und Sicherheit)  sind mir ans Herz gewachsen. Hinzu kommt, dass es eine Reihe von wichtigen Fragen der Struktur, Entwicklung und Governance des DLR im Wechselspiel mit individuellen, institutionellen und politischen Interessen zu klären gibt, die für mich eine sehr reizvolle Herausforderung darstellen. Meine Position der Entwicklung hin zu zu mehr Eigenverantwortung mit klar definierten Zielen ist hinlänglich bekannt und gilt intern wie extern. Solange ich das Gefühl haben darf, dass das DLR in weiten Teilen hinter mir steht, bin ich begeistert und überzeugt, wirklich einen der schönsten Berufe der Welt ausüben zu dürfen.

Die Bundesregierung hat nach meiner persönlichen Entscheidung gemeinsam mit unserem Nachbarland Frankreich vorgeschlagen, dass Jean-Jacques Dordain für eine weitere Amtszeit Generaldirektor bleiben soll. Auch andere Mitgliedsstaaten äußerten sich positiv zu einer weiteren Amtszeit von Jean-Jacques Dordain. In jedem Fall ist es der ESA-Rat, der am Schluss die Entscheidung über den zukünftigen Generaldirektor zu fällen hat. Für Deutschland heißt die Konsequenz, bei den anstehenden Besetzungen der ESA-Direktoren für Kernpositionen gute deutsche Kandidaten zu präsentieren. Außerdem muss die durch den Lissabon-Vertrag veränderte europäische Situation im Bereich der Raumfahrt nun auch durch entsprechende institutionelle Strukturen berücksichtigt werden. Hier gilt es aus deutscher Sicht, die Kontinuität der erfolgreichen Positionierung der ESA sicherzustellen.

Bild oben: DLR-Vorstandsvorsitzender Jan Wörner im Kreis der Astronauten der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Bild: DLR.

Bild Mitte: Cover des Buchs "Max Weber, Gesamtausgabe. Studienausgabe: Wissenschaft als Beruf 1917/1919. Politik als Beruf 1919: Abt. I/17 (Taschenbuch)", mit freundlicher Genehmigung des Mohr Siebeck Verlags.