Das deutsche Rover-Kontrollzentrum
Der Betrieb von Landeeinheiten auf planetaren Oberflächen ist ein besonders anspruchsvoller Aspekt der Weltraumerkundung. Das Microgravity User Support Center (MUSC) des DLR verfügt in Europa über einzigartige Erfahrungen in diesem Bereich: Der erste Kometenlander, Philae, und der Asteroidennanolander, MASCOT, wurden vom MUSC-Kontrollzentrum in Köln aus betrieben. Das MUSC war auch für den Betrieb von HP³ verantwortlich, einem am DLR entwickelten Instrument, das Teil der NASA/JPL InSight -Mission ist. All diese Aktivitäten haben die Tür für weitere Missionsgelegenheiten geöffnet, bei denen die Vor-Ort-Erkundung der kleinen Körper im Sonnensystem – Asteroiden und Kometen – fortgesetzt sowie Landetechnologien für Missionen zu Monden und Planeten weiterentwickelt werden.
Gute Detailplanung für alle Missionsphasen
Die MMX-Rover-Mission stellt operationell eine große Herausforderung dar: Zum ersten Mal soll ein Lander auf einem Marsmond abgesetzt werden. Und zum ersten Mal soll auf einem Körper mit so geringer Gravitation wie auf Phobos ein Rover gefahren werden. Phobos ist eine uns weitgehend unbekannte Welt. Zur Realisierung dieser Mission bedarf es intensiver und umfangreicher Vorbereitungen. Die Bodenkontrolle steht schon während der Testphase am Boden unterstützend bereit. Das Hauptaugenmerk vor dem Start liegt dabei auf der Preparation der Flugphase zum Marssystem sowie der Vorplanung der eigentlichen „On-Phobos-Phase“.
Sowohl während des Fluges als auch auf Phobos werden die Kommandierung und die Datenübermittlung über das MMX-Mutterschiff als Kommunikationsrelay erfolgen. Die Daten werden zuerst vom japanischen Bodensegment empfangen und anschließend nach Europa zur Auswertung übermittelt. Während der On-Phobos-Phase wird es im Allgemeinen pro Erdtag einen „Kommunikationspass“ von der Erde zum Mutterschiff geben. Durch diesen Pass werden Kommandos übermittelt und Daten empfangen. Das Mutterschiff nimmt Kontakt mit dem Rover auf der Phobosoberfläche auf, wenn dieser in Sichtweite ist. Die Zustandsanalyse des Rovers, aber auch die Ergebnisse der Experimente oder das Fahrverhalten können in dieser Konstellation nur sehr verzögert ausgewertet werden. Dieses erfordert eine genaue Planung und Kontrolle der Roveraktivitäten und Kommandierungen.
Während des Fluges werden vor allem sogenannte Checkouts und InFlight-Kalibrierungen am Flugmodell durchgeführt. Zusätzlich werden Wartungsarbeiten an der Batterie vorgenommen, um nach der Landung die bestmögliche Kapazität unter den rauen Bedingungen auf Phobos zur Verfügung zu haben. Flugaktivitäten sind alle drei Monate vorgesehen, mit einer detaillierten Vorbereitung und Testphase im Vorfeld.
Die große unbekannte Größe: der Landeplatz
Die Landeplatz-Auswahl kann erst nach Erreichen des Marssystems mit den ersten Detailbildern des Marsmondes erfolgen. Ein genauer Eindruck der Rover-Umgebung wird erst nach der Landung zur Verfügung stehen. Dies stellt die operationelle Planung, gerade für das Fahren des Rovers, vor große Herausforderungen. Im Vorfeld der On-Phobos Phase werden in den Kontrollzentren die Rover-Aktivitäten zur bestmöglichen Ausnutzung der vorhandenen Energie geplant. Der mögliche Datentransfer zur Erde muss berücksichtigt werden, um notwendige Entscheidungen in den Kontrollzentren zur vordefinierten Zeiten durchführen zu können. Die gesamte Planung muss auch im Hinblick auf die thermalen Gegebenheiten auf Phobos und den Anforderungen des Rovers abgestimmt sein.
Des Weiteren werden im Vorfeld der Landung unterschiedliche Szenarien mit verschiedenen Energien, Thermalbedingungen und Datenübertragungsraten bis hin zu möglichen Fehlerfällen durchgespielt. Die notwendigen Kommandierungsprodukte für die angedachten Verhältnisse und Abläufe werden entwickelt und am Boden getestet. Bei Start der On-Phobos-Phase des Rovers soll möglichst alles bereitstehen.
Die Landung auf der Phobosoberfläche wird eines der schwierigsten Manöver bei dieser Mission. JAXA wird den Rover mit dem Mutterschiff bis kurz über die Oberfläche bringen und abstoßen. Der Rover wird dann langsam zur Oberfläche sinken, nach einem seichten Aufprall hüpfen und zur Ruhe kommen. Danach wird er sich selbständig aufrichten und seine Solarzellen ausklappen. Dieses ist ein entscheidender Moment: Sollte der Rover seine Solarzellen nicht ausbreiten können, wird er nicht in der Lage sein, seine Batterien für zukünftige Aktivitäten aufzuladen. Zu diesem Zeitpunkt wird man vom Boden nicht in den Vorgang eingreifen können. Das Mutterschiff, der Relay-Orbiter, wird außer Sichtweite des Rovers sein.
Nach der Landung wird ein sogenanntes Commissioning des Rovers durchgeführt. Mit der nötigen Vorsicht werden die einzelnen Subsysteme und Experimente des Rovers überprüft. Die Kameras werden erste genaue Anhaltspunkte über das Umgebungsterrain liefern, in dem sich der Rover befindet. Während des Commissionings und erster Experimente werden parallel detaillierte Vorbereitungen für die ersten Fahrversuche durchgeführt.
Zuverlässige Infrastruktur als Rückgrat der Kontrollzentren
Der Betrieb des Rovers wird von zwei Kontrollzentren, eines in Frankreich bei CNES und eines im DLR (MUSC), durchgeführt. Die Kontrollzentren werden dabei abwechselnd für den Betrieb des Rovers verantwortlich sein. Während das eine Kontrollzentrum aktiv die Kommandierung auf dem Marsmond ausführt, wird das andere Kontrollzentrum die Detailplanung und Optimierung der folgenden Phase durchführen.
Während der 100-tägigen Rover-Mission werden die Daten des Rovers täglich analysiert und gegebenenfalls Kommandos zum Rover gesendet. Das Team muss die vorgeplanten Roveraktivitäten auf die Entwicklungen des Geschehens auf Phobos anpassen und bei Bedarf korrigierend eingreifen. Durch die Zeitverzögerung der Kommandierung zu den erhaltenen Daten muss das Team die Roveraktivitäten sehr detailliert und mit einigen Tagen Vorausblick planen. Das Team hat dabei keinen Livestream des Roverstatus vor Augen, sondern einen zeitlich verzögerten, älteren Status.
Besonderes Augenmerk gilt auch der Infrastruktur der Kontrollzentren: Diese muss zuverlässig sein und allen Anforderungen genügen. Schnittstellen müssen bereitstehen und funktionieren. Die Infrastruktur ist das Rückgrat der Kontrollzentren, das den anspruchsvollen Betrieb des Rovers erst möglich macht. Ein durchdachtes Design der Kontrollzentren, verlässliche Tools und intensives Testen der Einrichtung, der Abläufe und Training der Teams ist aus diesem Grund unablässig.
Das Team ist aus den unterschiedlichsten Berufsgruppen zusammengesetzt: Ingenieure und Ingenieurinnen, Informatiker und Informatikerinnen, Naturwissenschaftler und Naturwissenschaftlerinnen, Techniker und Technikerinnen sowie Verwaltende.
MMX – Martian Moons eXploration
MMX ist eine Mission der japanischen Weltraumorganisation JAXA mit Beiträgen von NASA, ESA, der französischen Raumfahrtagentur CNES und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). CNES und DLR steuern zusammen einen 25 Kilogramm schweren Rover bei. Der deutsch-französische MMX-Rover wird unter gemeinsamer Leitung der beiden Partner entworfen und gebaut. Das DLR übernimmt dabei insbesondere die Entwicklung des Rover-Fahrwerks samt Carbonstruktur sowie des gesamten Aufricht- und Fortbewegungssystems. Zudem steuert das DLR das Verbindungs- und Separationssysten zur Muttersonde bei und stellt ein Raman-Spektrometer sowie ein Radiometer als wissenschaftliche Experimente. Diese werden die Oberflächenzusammensetzung und -beschaffenheit auf Phobos messen. Die CNES leistet wesentliche Beiträge mit Kamerasystemen zur räumlichen Orientierung und Erkundung auf der Oberfläche sowie zur Untersuchung der mechanischen Bodeneigenschaften. Darüber hinaus entwickelt die CNES das zentrale Service-Modul des Rovers inklusive des Onboard-Computers sowie des Energie- und Kommunikationssystems. Nach dem Start der MMX-Mission wird der Rover von Kontrollzentren der CNES in Toulouse (Frankreich) und des DLR in Köln betrieben.
Seitens des DLR sind unter der Leitung des Instituts für Robotik und Mechatronik zudem die Institute für Systemdynamik und Regelungstechnik, für Faserverbundleichtbau und Adaptronik, für Raumfahrtsysteme, für Optische Sensorsysteme, für Planetenforschung, für Softwaretechnologie sowie das Nutzerzentrum für Weltraumexperimente (MUSC) beteiligt.
Die Mission MMX steht in der Tradition einer bereits langjährigen erfolgreichen Kooperation der Partner JAXA, CNES und DLR. Sie knüpft an die Vorgängermission Hayabusa2 an, bei der die JAXA eine Raumsonde zum Asteroiden Ryugu schickte mit dem deutsch-französischen Lander MASCOT an Bord. Am 3. Oktober 2018 landete MASCOT auf Ryugu und sendete spektakuläre Bilder einer faszinierenden zerklüfteten Landschaft aus Geröll und Steinen. Hayabusa2 nahm Proben von Ryugu und brachte diese am 6. Dezember 2020 zurück zur Erde.