Kleine Venus in der Mitte des Atlantiks
Eine Weltraummission zur Venus zu simulieren, ist nicht einfach, aber bis zu einem gewissen Grad möglich. Zwar herrschen nirgends auf der Erdoberfläche dieselben Bedingungen – Temperaturen, bei denen Blei schmilzt, eine giftige Atmosphäre mit dichten Schwefelsäurewolken oder ein Luftdruck, neunzigmal so hoch wie bei uns, eine Insel im Nordatlantik aber kommt vor allem aufgrund ihres vulkanischen Ursprungs der Venus recht nahe: Island. Sie war das Ziel einer Expedition zur Vorbereitung der NASA-Mission VERITAS zur Venus.
Wie oft hat man diese Phrase schon gehört: „Island – Insel aus Feuer und Eis“? Das Klischee stimmt natürlich, jedenfalls zum Teil. Das Eiland im Nordatlantik beherbergt die größten Gletscher in Europa und ist eine der vulkanisch aktivsten Regionen auf der Welt. Letzten Sommer, im Dezember 2023 und nochmal nach der Jahreswende kam es wieder zu spektakulären Vulkanausbrüchen nahe der Hauptstadt Reykjavik. Für die Feldkampagne zu einigen der jüngsten erstarrten Lavaströme auf Island, an der das DLR in vielfältiger Form mitwirkte, war dies ein wahrer Glücksfall. Die Eruption des kleinen Vulkans mit dem zungenbrecherischen Namen Litli-Hrútur bot nicht nur erstklassiges Anschauungsmaterial, sondern erlaubte auch Messungen mit Radar aus der Luft sowie multispektrale Bilder von teilweise noch über 400 Grad Celsius heißer Lava am Boden. Das DLR-Team führte einige Messungen sogar nachts durch, um den möglichen Einfluss von Sonnenlicht zu vermeiden.
Ziel der vom Jet Propulsion Laboratory im kalifornischen Pasadena geleiteten Expedition war es, Experimente für die Venusmission VERITAS der NASA zu optimieren. Sowohl VERITAS als auch die ESA-Mission EnVision werden nach 2030 zu unserem Nachbarplaneten starten. Dort sollen sie aus der Umlaufbahn Daten liefern, um die vielen Fragen zu beantworten, die sich in den letzten drei Jahrzehnten in der Venusforschung regelrecht angestaut haben: Warum hat sich der innere Nachbarplanet der Erde, der bei der Entstehung beider Körper stofflich vergleichbar war, so anders entwickelt? Sind die heutigen Unterschiede nur auf die 50 Millionen Kilometer zurückzuführen, welche die Venus näher als die Erde um die Sonne kreist, weshalb sie doppelt so viele Watt Sonnenenergie pro Quadratmeter erhält? Die wesentliche Ursache für den irrwitzigen Treibhauseffekt auf der Venus ist die fast nur aus Kohlendioxid bestehende Atmosphäre. Er sorgt dafür, dass Oberflächentemperaturen von konstant über 460 Grad Celsius die Existenz von Wasser oder gar Leben heute unmöglich machen.
DLR-Beteiligungen
Das DLR ist an den Missionen EnVision (ESA) und VERITAS (NASA) wissenschaftlich und mit Experimentbeiträgen beteiligt. Für beide Missionen wird am DLR-Institut für Planetenforschung (wissenschaftliche Leitung) und am DLR-Institut für Optische Sensorsysteme (Leitung Instrumentenentwicklung) gemeinsam je ein Spektrometer, inklusive des bei der Expedition verwendeten VEMulator für die Wellenlängen des nahen Infrarotbereichs entwickelt. Sie werden über die Wärmeabstrahlung der Gesteine am Boden der Venus erstmals deren mineralogische Bestandteile global kartieren. Dafür wird der multispektrale Venus Emissivity Mapper (VEM) entwickelt. Idealerweise wird der VEM mit dem hochauflösenden Radarexperiment kombiniert, damit zur Mineralogie auch genaue topografische Informationen gesammelt werden können. Das DLR-Institut für Hochfrequenztechnik und Radarsysteme beteiligte sich an der Island-Kampagne mit seinem F-SAR-Radarsystem an Bord einer Dornier 228 der DLR-Einrichtung Flugexperimente. Außerdem steuert das Institut Algorithmen zum VERITAS-Radarexperiment bei.
Vor allen Blicken verborgen
In der dichten Atmosphäre aus Kohlendioxid verhindern dicke Wolken aus Schwefelsäure jeden Blick mit Teleskopen und Kameras auf die Oberfläche. Radarwellen, die von Raumsonden aus der Umlaufbahn zur Oberfläche gepulst und dort reflektiert werden, können allerdings die Rauigkeit und sogar die Topografie der Landschaft erfassen.
Zumindest in ihrer jüngeren Vergangenheit hatte die Venus keine Plattentektonik. Auf der Erde entsteht diese durch das Umwälzen riesiger teilgeschmolzener Gesteinszellen im Erdmantel, das zu Vulkanismus führt. Durch diesen wird die im Inneren beim radioaktiven Zerfall von Elementen erzeugte Hitze „kontrolliert“ abgeleitet. Unter der Kruste der Venus jedoch staute sich die Hitze wie in einem Dampfkochtopf ohne Ventil so lange an, bis der „Kessel“ explodierte und sich in Form einer globalen vulkanischen Katastrophe Bahn brach.
Welche Formen von Vulkanismus das waren, welche Zusammensetzung die Laven hatten und aus welchen Mineralen die erstarrten Gesteine bestehen, das ist kaum bekannt. Fotos und Messungen der Venera-Landesonden aus sowjetischer Zeit deuten auf das Vulkangestein Basalt hin, das auf allen erdähnlichen Planeten vorkommt.
Besonders interessant sind aber die Minerale in den Gesteinen, die die Frage beantworten könnten, ob zu früheren Zeiten Wasser auf der Venus tatsächlich vorhanden war und ihre Entwicklung beeinflusst hat.
Die Venus ist wieder en Vogue
Drei neue Missionen werden zu Beginn des nächsten Jahrzehnts zur Venus gesandt: Die ESA entschied sich in Partnerschaft mit der NASA für die Mission EnVision. Sie soll eine Bestandsaufnahme der Venus vom Kern bis zur oberen Atmosphäre und eine Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen „Etagen“ vornehmen. Ziel ist ein besseres Verständnis von Entstehung, Entwicklung, Aktivität und Wettergeschehen. Auch soll EnVision untersuchen, ob es auf der Venus einmal für längere Zeit Wasser und vielleicht sogar Voraussetzungen für Leben gegeben hat.
Die NASA hat zwei Venussonden in Planung: den Orbiter VERITAS (Venus Emissivity, Radio Science, InSAR, Topography, And Spectroscopy), der sich im experimentellen Instrumentarium mit EnVision ergänzen wird, und DAVINCI (Deep Atmosphere Venus Investigation of Noble gases, Chemistry and Imaging). DAVINCI besteht aus einem Orbiter und einem Landemodul. Der Start ist für 2029, die Landung für 2031 vorgesehen.
Wasser auf der Venus?
In der Venusforschung gilt es inzwischen als nahezu ausgemacht, dass in der Frühzeit des Planeten über lange Zeiträume Wasser auf der Oberfläche vorhanden war. Da stellt sich natürlich sofort die Frage: Hätte die Venus auch einmal Leben beherbergen können? Ob dies mit den neuen Missionen beantwortet werden kann, lässt sich noch nicht abschätzen. Zunächst geht es darum, ein tieferes Verständnis des Planeten zu erlangen. Neue, bessere Technik wird bei den geplanten Raumsonden zum Einsatz kommen – die zuvor getestet werden muss. Hier kam Island als „kleine Venus“ ins Spiel, weil die jüngsten Lavaströme noch nicht verwittert sind und vor allem noch keinerlei Vegetation tragen.
Knapp zwanzig VERITAS-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler aus den USA, Italien und Deutschland nahmen sich zwei Vulkangebiete zum Ziel: zum einen den erstarrten, fast hundert Quadratkilometer großen Lavastrom der Holuhraun-Eruption von 2014 in Zentralisland, nahe dem berühmten Askja-Vulkankegel, und zum anderen die noch heiße Eruption des Litli-Hrútur auf der Reykjanes-Halbinsel an der Südküstesowie einige der Lavaströme von Vulkanen in der Umgebung, die 2021 und 2022 ausgebrochen waren.
Instrumententraining im Gelände
Das DLR war mit einem Fünferteam am Boden und mit seinem Forschungsflugzeug Dornier 228-212 D-CFFU aus Oberpfaffenhofen vertreten. In der Maschine war das – in seiner Qualität einmalige – F-SAR-Radarsystem des DLR eingebaut, mit dem in rund 6.000 Meter Flughöhe über den Lavaströmen interferometrische und polarimetrische Radarmessungen vorgenommen wurden. Sie ähneln denen, die bei VERITAS und EnVision aus der Venusumlaufbahn kommen werden. Mit dieser Technik lassen sich unabhängig vom Wetter und sogar bei Nacht hochaufgelöste Radar-„Bilder“ erzeugen, was für die Erfassung der Venusoberfläche Gold wert ist.
Während die Do 228-212 präzise Radarmessungen von den Holuhraun- und Litli-Hrútur-Lavaströmen entlang definierter Routen ausführte, nahm die Mannschaft am Boden gleichzeitig Lasermessungen zur Erstellung topografischer Profile auf den Lavaströmen und den Sandflächen daneben vor. Die Datensätze werden später verglichen und miteinander in Einklang gebracht.
Geht es bei Radar um Topografie, Struktur und Rauigkeit von Lavaströmen, liegt bei der Spektroskopie der Fokus auf der Zusammensetzung von Vulkangestein. Dafür werden die Emissionen noch heißer oder schon erkalteter Laven gemessen. Das DLR nutzte in Island dazu einen Venus Emissivity Mapper Emulator, kurz VEMulator. Die Multispektralkamera misst in sechs den atmosphärischen Fenstern der Venusatmosphäre nachempfundenen, gefilterten Wellenlängen. Das „Bodensegment“ der Feldkampagne musste dazu manchmal im wahrsten Sinne des Wortes extrem harte Arbeitsbedingungen in Kauf nehmen, denn einige der Lavaströme bestehen aus Gestein mit zum Teil messerscharfen Zacken und Kanten. Hierbei erhielt es Unterstützung aus der Luft in Form von Drohnen, die millimetergenaue Bilder aus wenigen Metern Flughöhe lieferten. Das DLR-Vulkanteam nahm an den VEMulator-Messpunkten 60 Kilogramm Proben. Diese werden nun im Berliner Planetenspektroskopie-Labor analysiert. Die Ergebnisse dienen der Eichung der Experimente, die das DLR für die beiden Missionen VERITAS (NASA) und EnVision (ESA) entwickelt hat. Sie sollen die globale Verteilung der Minerale unseres etwas überhitzten Nachbarplaneten kartieren.
Drei Fragen an Dr. Solmaz Adeli
Die Wissenschaftlerin vom DLR-Institut für Planetenforschung leitet das Team, das während der Island-Kampagne vulkanische Oberflächen spektroskopisch untersucht.
Wie ging es Dir während der Kampagne?
Einerseits war es anstrengend, anderseits wollte ich so viele Messungen wie möglich durchführen. Es war wunderbar, Zeit in dieser außergewöhnlichen Landschaft zu verbringen, aber ich habe mich auch schon sehr darauf gefreut, die Daten an meinem Computer zu analysieren.
Was war die größte Herausforderung?
Das Wetter! Es war sehr unbeständig. Wenn es regnet, funktionieren die Instrumente nicht und wenn es sehr kalt und windig ist, fällt uns Menschen das Arbeiten schwer. Insgesamt sind wir aber gut zurechtgekommen.
Was sind die nächsten Schritte?
Jetzt kümmern wir uns um die Datenanalyse. Wir schauen uns die Spektralmessungen an und untersuchen die Proben, die wir auf Island genommen haben, in unserem Planetenspektroskopie-Labor. Im letzten Schritt können wir die Daten dann mit der Venus verknüpfen.
Drei Fragen an Daniel Gesswein
Der Radartechniker vom DLR-Institut für Hochfrequenztechnik und Radarsysteme ist für den Betrieb des F-SAR-Radarsystems an Bord der Do 228-212 eingesetzt.
Wie kann man sich eine solche Mission vorstellen?
Wir vom Flugteam waren in den zwei Wochen jeden Tag unterwegs, quer über die Insel. Meist trafen wir uns morgens zwischen 7 und 8 Uhr am Flughafen Keflavik. Dort wurden die letzten Flugvorbereitungen getroffen. Ein Einsatz über dem Gebiet Holuhraun dauerte insgesamt etwa acht Stunden. Gegen 17 Uhr waren wir zurück, anschließend De-Briefing. Sehr volle und intensive Tage also.
Was genau machst Du während des Fluges?
Ich steuere das F-SAR-Radarsystem. Dazu sitze ich in der Flugzeugkabine vorne am Steuerrechner. Hier kann ich alle für die Radarmessungen notwendigen Einstellungen vornehmen. Die generierten Daten können die Kolleginnen und Kollegen am Boden dann weiterverarbeiten.
Und was ist das für ein Gefühl, im Flieger zu sitzen?
Eine Belohnung für die ganze Arbeit – sowohl bei der Hardware-Entwicklung als auch bei der Zulassung. Das kann viel Zeit und Nerven kosten. Ich freue mich sehr, wenn ich sehe, dass wir mit unseren Daten die Forschung ein Stück weiterbringen konnten.
Ein Beitrag von Ulrich Köhler aus dem DLRmagazin 174.