Seit sechs Jahren führt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit dem Airbus A300 ZERO-G Parabelflugkampagnen durch. Dabei begeben sich Wissenschaftler aus den Bereichen Humanphysiologie, Biologie, Physik und Materialforschung in die Schwerelosigkeit, aber auch in die doppelte Schwerkraft. So wurden während der Kampagne 2004 auf insgesamt 124 Parabeln 20 Experimente geflogen, dabei herrschten 46 Minuten Schwerelosigkeit und 92 Minuten annähernd doppelte Schwerkraft (1,8 g).
Die Flugtage folgen einem festen Ablauf. Die Forscher beginnen frühmorgens mit den letzten Vorbereitungen an den Testpersonen und Versuchsproben. Danach erfolgt die Medikation: Da Schwerelosigkeit ein Phänomen ist, das der Körper auf der Erde normalerweise nur für Sekundenbruchteile erfährt, können Seh- und Gleichgewichtssinn beim Parabelflug, ähnlich wie auf einer turbulenten Seereise, schon einmal durcheinander geraten. Dies kann in Einzelfällen zu Übelkeit führen; hier hilft ein den Magen beruhigendes Medikament. Alle Passagiere begeben sich dann in ihren blauen Fluganzügen in den A300 ZERO-G. Eine halbe Stunde lang werden alle Systeme des Airbus getestet, bevor er abhebt. Sobald die Reiseflughöhe erreicht ist und die Anschnallzeichen erloschen sind, starten die Wissenschaftler ihre Experimente - die Forschung beginnt noch vor der ersten Parabel.
Nach etwa 30 Minuten ist das Fluggebiet erreicht, in dem normalerweise 31 Parabeln geflogen werden, eine "Nullte" zur Übung für die Crew, anschließend 30 für die Wissenschaft, wobei diese in sechs Serien mit jeweils fünf Parabeln aufgeteilt sind. In den zwischen den Serien liegenden kurzen Pausen können die Forscher die Parameter ihrer Experimente ändern oder bei Bedarf auch medizinische Testpersonen auswechseln. Nach der Landung treffen sich alle Wissenschaftler und die Flugzeugbesatzung zu einer Nachbesprechung. Der Flugkapitän berichtet über den Flugverlauf, die Wissenschaftler über Erfolge oder Probleme bei der Durchführung ihrer Experimente. Aus einem solchen Debriefing können notwendige Änderungen für die kommenden Flugtage resultieren, so dass alle Teams bestmögliche Forschungsergebnisse erzielen können.
DLR-Parabelflüge: Forschen in Schwerelosigkeit - Zum VideoFrage: Herr Dr. Preu, Parabeln zeichnen ist für manchen schon ein Problem, Parabeln fliegen eigentlich kaum vorstellbar. Was verbirgt sich dahinter?
Dr. Peter Preu: Der Airbus A300 ZERO-G ist das weltweit größte fliegende Labor zur Forschung unter Schwerelosigkeit. Menschen können hier in der Schwerelosigkeit für kurze Zeit arbeiten, ohne gleich ins All fliegen zu müssen. Das DLR veranstaltet seit 1999 einmal im Jahr eine Parabelflugkampagne und stellt diese Fluggelegenheit Wissenschaftlern aus Universitäten und anderen Einrichtungen für Experimente unter Schwerelosigkeit zur Verfügung. Wir haben dabei ein breites Spektrum von wissenschaftlichen Fragestellungen aus der Medizin, der Biologie, der Physik sowie der Materialforschung an Bord. Der Airbus bietet dafür sehr viel Platz. An Bord können 40 Wissenschaftler arbeiten und bis zu 15 Experimentieranlagen pro Flugtag betreiben. In Deutschland führen wir die Kampagnen vom Köln-Bonner Flughafen aus durch, auf dem wir im Jahr 2004 zum ersten Mal zu Gast waren.
Frage: Bei solch einem Parabelflug geht es ja, wie der Name schon sagt, ganz schön rauf und runter. Wird es dabei dem Fluggast in so einem Flugzeug nicht Angst und Bange?
Dr. Peter Preu: Rauf und runter geht es in der Tat ganz schön, wie auf einer gigantischen himmlischen Achterbahn, allerdings immer geradeaus und ohne Kurven. Die Geschwindigkeit von bis zu 830 km/h spürt man als Passagier kaum, umso deutlicher aber das doppelte Körpergewicht beim Hochziehen und Abfangen des Flugzeuges und dazwischen die Phase der Schwerelosigkeit. Während eines Flugtags werden 31 Parabeln geflogen, d.h. quasi 31 Mal die Zugspitze rauf und runter, und das in jeweils einer Minute. Das heißt aber auch 31 Möglichkeiten, die Experimente zum Erfolg zu führen. Wirklich ein großartiges Gefühl. Angst und Bange muss es einem trotzdem nicht werden. Zur Beruhigung tragen wesentlich bei die Professionalität und Erfahrung des französischen Flugkapitäns Gilles Le Barzic und seines Teams sowie die Tatsache, dass schon über 6.000 Parabeln von der französischen Betreiberfirma Novespace in den letzten Jahren völlig problemlos absolviert wurden.
Frage: Wie kann man denn bei diesem anhaltenden Rauf und Runter noch arbeiten?
Dr. Peter Preu: Arbeiten kann man im Flugzeug sehr wohl. Von unseren französischen Partnern und der DLR-Projektleitung wird alles dafür getan, dass die Wissenschaftler optimale Bedingungen vorfinden. Der Rest liegt dann an den Wissenschaftlern selbst, deren Vorbereitung auf den Flug und natürlich ihrer körperlichen Fitness. Es ist faszinierend, mitzuerleben wie Wissenschaftler aus den verschiedensten Fachgebieten in solch einem einmaligen Labor zusammen arbeiten. Und wie sich in dieser Atmosphäre die beteiligten Schüler und Studenten wohl fühlen und viele Eindrücke für ihre spätere Arbeit, ob als Ingenieur oder Wissenschaftler, mitnehmen. Ein klassisches Beispiel für die Effizienz der Arbeit auf einem solchen Parabelflug ist die behälterfreie Schmelzanlage TEMPUS. Innerhalb von 22 Sekunden Schwerelosigkeit wird hier ein vollständiger Prozess durchlaufen: zuerst Aufschmelzen einer metallischen Probe, dann Präzisionsmessungen an der frei schwebenden, flüssigen Metallprobe und anschließend Abkühlung in den festen Zustand.
Frage: Gibt es eigentlich noch andere Möglichkeiten, Schwerelosigkeit auf der Erde zu "erzeugen"?
Dr. Peter Preu: Vorweg möchte ich sagen, dass "Schwerelosigkeit", physikalisch gesehen, nichts anderes ist als "freier Fall". Lässt man einen Gegenstand einfach fallen oder wirft man ihn von sich weg, so befindet er sich bis zum Aufprall auf dem Boden im Zustand der Schwerelosigkeit. Somit ist dieser Zustand auch im Alltag eigentlich nichts Exotisches, allerdings auf der Erde nur für sehr kurze Zeiten erreichbar.
Ein Beispiel: Kinder beim Trampolinspringen fühlen die Schwerelosigkeit. Die Besonderheit ist hier ähnlich wie beim Parabelflug der permanente Wechsel zwischen Schwerelosigkeit - freier Fall - und erhöhter Schwerkraft - Absprung und Landung. Schwerelosigkeit über längere Zeiten, Stunden und Tage, lässt sich nur auf einer Raumstation oder einem Satelliten erreichen - im freien Fall um die Erde. Für Kurzzeitexperimente auf der Erde nutzen wir auch den Fallturm in Bremen. Er bietet bis zu fünf Sekunden Schwerelosigkeit bester Qualität für Forschungsarbeiten in den Bereichen Biologie, Physik, Verbrennung und Materialwissenschaften. Und nebenbei bemerkt: Schwerelosigkeit wurde bereits in früheren Jahrhunderten zur Herstellung von Schrotkugeln genutzt, denn flüssiges Metall erstarrt unter Schwerelosigkeit in Kugelform.
Frage: Warum aber fliegt man nicht gleich ins All? Warum Parabelflüge?
Dr. Peter Preu: Salopp gesagt, weil man nicht immer gleich mit Kanonen auf Spatzen schießen sollte. Parabelflüge haben für uns zwei Funktionen: erstens, die wissenschaftliche und technische Vorbereitung von Langzeit-Experimenten für die Raumstation - Parabelflüge dienen dabei quasi als "Durchgangsstation". Zweitens ermöglichen sie eigenständige Forschung auf den Gebieten, bei denen 22 Sekunden Schwerelosigkeit ausreichen. Parabelflüge haben aber noch eine ganze Reihe weiterer Vorteile. Sie sind regelmäßig verfügbar, kostengünstig und liefern schnell Ergebnisse. Der Wissenschaftler kann obendrein selbst mitfliegen und dabei seine eigenen Geräte einsetzen. Des Weiteren können wir mit diesen Flügen den wissenschaftlichen Nachwuchs fördern. Zu den Forscherteams gehören viele junge Leute, sie erleben Forschung und Technik hautnah. Damit bekommen sie eine starke Identifikation mit "ihrem" Projekt und dessen Erfolg. Und Höhepunkt eines jeden Experimentes im Airbus ist die persönliche Faszination und das Erleben der Schwerelosigkeit. All dies ist auch ein Beitrag zur Innovation in Deutschland durch exzellente wissenschaftliche Ergebnisse sowie Motivation und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.
Frage: Wie treffen Sie die Auswahl der Experimente, wie kommt man als Wissenschaftler auf einen Parabelflug?
Dr. Peter Preu: Ganz einfach, indem man einen guten Experimentvorschlag bei der DLR-Raumfahrt-Agentur einreicht. Dies kann man unaufgefordert und zu jeder Zeit machen. Alle Vorschläge werden dann wissenschaftlich begutachtet. Bei einem positiven Ergebnis und etwas Glück fliegen Experiment und Wissenschaftler schon bei der nächsten Kampagne mit. Wir von der Raumfahrt-Agentur unterstützen ihn dabei - organisatorisch und bei Bedarf auch finanziell. Und ich kann sagen, dass die Nachfrage , das heißt die Menge der eingereichten Experimente, unsere Kapazitäten bei den Kampagnen weit übersteigt.