Dynamik in Schmelzen
Die Wechselwirkung von Partikeln aber auch Gasblasen mit der Fest-Flüssig-Phasengrenze erstarrender Metalle ist eine grundsätzliche Fragestellung, die seit Mitte der 1960er Jahre Gegenstand der Materialforschung ist. Für den einfachsten Fall der planaren Fest-Flüssig-Phasengrenze führt die Wechselwirkung entweder zu einem Schieben der Partikel mit der Phasengrenze (pushing) oder zu einem Einbau der Partikel in das erstarrende Material (engulfment) (siehe Abb. 1).
Die Kenntnis und Kontrolle des jeweiligen Verhaltens ist für die industrielle Anwendung von großer Bedeutung, da auf der einen Seite häufig bestimmte Einschlüsse in Werkstoffen unerwünscht sind (z.B. Schlacketeilchen beim Strangguss), auf der anderen Seite der gezielte Einbau z.B. kleinster Keramikpartikel in einen Werkstoff dessen mechanische Eigenschaften deutlich verbessern kann und daher erwünscht ist. In Experimenten mittels gerichteter Erstarrung zeigt sich, dass im planaren Fall ein Übergang vom Schieben zum Einbauen erfolgt, wenn eine kritische Erstarrungsgeschwindigkeit überschritten wird, wobei sich diese Grenze mit abnehmender Partikelgröße zu höheren Geschwindigkeiten verschiebt. Der genaue Betrag der kritischen Geschwindigkeit hängt von zahlreichen thermophysikalischen Größen der beteiligten Phasen ab, wie z.B. Wärmeleitfähigkeit, Grenzflächenenergie, Viskosität, etc. und wird durch zahlreiche Modelle für den planaren Fall beschrieben. Für den Fall der dendritischen Erstarrung existieren bislang sowohl theoretisch als auch experimentell nur geringe Kenntnisse über die genauen Wechselwirkungsmechanismen. Die meisten technischen Werkstoffe erstarren jedoch nicht planar sondern dendritisch, daher ist die Kenntnis der Partikeldynamik in dendritisch erstarrenden Schmelzen von großer Bedeutung.
Zur experimentellen Untersuchung der dendritischen Partikeldynamik eignen sich unterkühlte Metallschmelzen besonders, da diese stets dendritisch erstarren, sogar im Falle reiner Systeme. Zugleich treten ausreichend hohe Erstarrungsgeschwindigkeiten auf, um auch kleine Partikel potenziell einbauen zu können. Die rasche Erstarrung einer unterkühlten Schmelze führt zudem zu einem plötzlichen "Einfrieren" der Mikrostruktur, was eine post-mortem Analyse der Erstarrungsbedingungen erlaubt. Bei diesen Experimenten steht insbesondere die Frage im Vordergrund, ob ein Einbau in die Dendriten möglich ist, oder die Partikel zwischen den Dendriten an den Korngrenzen eingefangen werden (entrapment, siehe Abb.1).
Experimente unter reduzierter Schwerkraft während eines Parabelfluges verdeutlichen den signifikanten Einfluss der Konvektion auf die ausgebildete Mikrostruktur (siehe Abb.2): Durch die drastische Verminderung konvektiver Strömungen innerhalb der Schmelze kommt es dabei zu einem deutlich erkennbaren Einbau keramischer Partikel innerhalb der Dendriten im Vergleich zu den erdgebundenen experimentellen Resultaten.
Abb. 2: Mikrostruktur der Legierung Ni98Ta2 mit Ta2O5 Partikeln (weiß).
Links: Erstarrungsexperiment unter terrestrischen Bedingungen. Rechts: Erstarrung während eines Parabelflugs bei reduzierter Schwerkraft. Die Verminderung der Konvektion im Parabelflugexperiment führt zum Einbau vieler Partikel in die Dendriten.
Zur direkten Beobachtung des Wechselwirkungsmechanismus von Partikeln und Dendriten dienen in-situ Radiographie-Experimente mittels hochenergetischer Synchrotronstrahlung. Um ein quasi-zweidimensionales System zu beobachten, werden Proben mit einer Dicke von 130 µm verwendet. Damit wird eine Durchstrahlung der Proben bei hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung möglich. Die dendritische Erstarrung erfolgt gerichtet in einem Bridgman-Ofen, wobei die Kornbildung und das gleichachsige dendritische Wachstum während der Erstarrung zu beobachten ist.
Literatur: