Die Arbeiten der Gruppe „Dynamik“ konzentrieren sich in erster Linie auf den Bereich der atmosphärischen Wirbel- und Wellendynamik (planetare Wellen, Schwerewellen, Infraschall, Turbulenz). Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem Höhenbereich der oberen Mesosphäre und unteren Thermosphäre (UMLT), d.h. dem Übergangsbereich zum Weltraum. Die Datengrundlage bilden zum einen satellitengestützte Messungen (z.B. TIMED-SABER), zum anderen werden für die Infrarotfernerkundung (IR-Fernerkundung) dieses Höhenbereichs eigene passive boden- und teilweise auch flugzeuggestützte Fernerkundungssensoren (IR-Spektrometer GRIPS, GRound-based Infrared P-branch Spectrometer; IR-Kameras FAIM, Fast Airglow IMager, und BAIER, Bavairian AIrglow ImagER) an verschiedenen Standorten weltweit eingesetzt und weiterentwickelt. Sie ermöglichen die Erfassung von raumzeitlich sehr kleinräumigen Strukturen bis hin zu Turbulenzen, die der Satellit nicht beobachten kann. Dabei wird das natürliche Phänomen des atmosphärischen Luftleuchtens (Airglow) genutzt. Die Arbeiten werden in enger Kooperation mit der Universität Augsburg und der Bayerischen Umweltforschungsstation Schneefernerhaus (UFS) auf der Zugspitze durchgeführt und sind Teil des internationalen Netzwerks NDMC (Network for the Detection of Mesospheric Change) sowie des Virtuellen Alpenobservatoriums (VAO). Beide Programme werden von der Abteilung ATM koordiniert. Für den Höhenbereich der Strato- und Troposphäre werden Reanalyse-, satellitengestützte und ggf. radiosondenbasierte Daten verwendet.
Zu den im Team angewandten Methoden gehören mathematische Ansätze wie lineare und nichtlineare statistische Verfahren sowie komplexe Spektralanalysen für raum-zeitliche Datenreihen (autoregressive und moving average Verfahren wie die Maximum-Entropie-Methode, Bispektralanalyse, Wavelets, harmonische Analyse, Empirical Mode Decompostion und zunehmend auch KI-Ansätze) und numerische Atmosphärenmodelle (Wellenausbreitungsmodelle HARPA und GROGRAT). Die große Datenmenge macht es notwendig, effiziente Algorithmen aus dem Bereich der Mustererkennung und mittlerweile auch Methoden der künstlichen Intelligenz anzuwenden und anzupassen (Sedlak et al., 2021; Wüst et al., 2017c). Der Einsatz von quantenbeschleunigtem maschinellem Lernen ist in Vorbereitung.
Die Anwendungen liegen zum einen in der Verbesserung von Klimamodellen, in denen Wellen oft nur parametrisiert sind und somit die Umverteilung von Energie und Impuls nur grob erfasst werden kann. Auf der oben genannten Datenbasis ist es gelungen, die transportierte Energiemenge von Schwerewellen zu quantifizieren, Rückschlüsse auf die horizontale Richtung des Energietransports zu ziehen, den Prozess des Energietransfers im UMLT quantitativ sichtbar zu machen und dessen jahreszeitliche Variation in Abhängigkeit vom beobachteten Periodenbereich zu bestimmen (Hannawald, 2019; Sedlak et al., 2016, 2020; Wüst et al., 2016, 2017a, 2017b, 2020). Mithilfe eines tomographischen Ansatzes können Schwerewellen dreidimensional dargestellt werden. Andere Anwendungen sind indirekt und direkt mit Wettermustern verbunden. Starke planetare Wellen in der Stratosphäre können die Entwicklung des Wetters über mehrere Wochen hinweg bestimmen ("stationäres Wetter"), was mit extremen Wettersituationen wie z.B. den Überschwemmungen in Mitteleuropa 2021 in Verbindung gebracht wird. Die Analyse dieser Wellen in der Stratosphäre hat das Potenzial, mittelfristige Wettervorhersagen zu verbessern. Andererseits erzeugen Tiefdruckgebiete sowie Naturkatastrophen wie Tsunamis, Vulkane und Erdbeben u.a. Infraschall, der sich sehr schnell durch die Atmosphäre ausbreitet (Kramer et al., 2015; Pilger et al., 2013; Bittner et al., 2010) und beispielsweise für die Frühwarnung vor Tsunamis genutzt werden kann, indem er über dem Epizentrum mittels IR-Fernerkundung gemessen wird. Zu diesem Zweck verwendet die Gruppe das HARPA/DLR-Ausbreitungsmodell (Pilger et al., 2013). Der Ansatz wurde 2010 von uns vorgeschlagen (Bittner et al., 2010) und ist inzwischen von einer US-Forschergruppe durch umfangreiche Modellierungen bestätigt worden (Inchin et al., 2020). Um den Ansatz experimentell zu testen, wurde im November 2022 ein entsprechend ausgestatteter Messcontainer (u.a. zwei FAIM-Kameras, ein GRIPS-Spektrometer) an der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile aufgestellt. Vor der chilenischen Küste verläuft eine Subduktionszone, und die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Tsunamis ist vergleichsweise hoch.