MMX

Qua­li­täts- und Pro­dukt­si­che­rung für das Fahr­werk des MMX-Ro­vers

MMX-Ro­ver bei Tests im Va­ku­um
Um das Qualifikations- und Flugmodell des MMX-Rovers Belastungen aussetzen zu können, wird die Hardware in eine Thermal-Vakuum-Kammer eingeschlossen. Unter Vakuumbedingungen wird dann mehrmals auf die gewünschte Temperatur aufgeheizt und abgekühlt.

Das mechatronische Fahrwerk (Lokomotionsystem) des robusten, radbasierten Rovers für die „Martian Moons eXploration (MMX)“-Mission ist eine komplette Neuentwicklung der DLR-Institute für Robotik und Mechatronik sowie für Systemdynamik und Regelungstechnik. Daher kann nur bei manchen Komponenten auf Erfahrung aus vorherigen Missionen zurückgegriffen werden. Aus diesem Grund ist es essentiell, durch Qualitäts- und Produktsicherung nachzuweisen, dass das Fahrwerk auf Phobos funktionieren wird. Es muss bewiesen werden, dass das Fahrwerk allen Anforderungen entspricht, die aufgrund Erfahrungen aus vergangenen Raumfahrtmissionen sowie Annahmen zu dieser speziellen neuen Mission entstehen.

Stress für das Fahrwerk

Eine wesentliche Grundlage für Anforderungen an Systeme und Subsysteme für die Raumfahrt stellen die derzeit 140 aktiven Standards der ECSS (European Cooperation for Space Standardization) dar. Dabei handelt es sich um ein europäisches, international anerkanntes Regelwerk, welches die Qualität und Sicherheit von Raumfahrtprogrammen verbessert und Risiken reduziert. Auf Systemebene werden aus der ECSS die missionsspezifischen Anforderungen zusammengestellt und angepasst. Viele dieser System-Anforderungen gelten auch für das Fahrwerk als Subsystem. Fahrwerksspezifische Anforderungen werden ergänzt, und - wo sinnvoll - ebenfalls aus der ECSS abgeleitet.

Eine weitere Quelle für Anforderungen ist die Analyse der kompletten „Reise“ des ganzen Rovers: Zunächst ein langer Abschnitt auf der Erde, bis der Rover komplett integriert ist. Darauf folgen der Start selbst mit der H-3 Rakete der JAXA (Japan Aerospace Exploration Agency) und die Orbit-Phase, bevor die Reise weiter in Richtung Mars führt. Schließlich landet der Rover auf dem Marsmond Phobos und erkundet nach der automatischen Inbetriebnahme dessen Oberfläche.

Während dieser Reise ist das Fahrwerk einigen Belastungen ausgesetzt:
• Tests auf der Erde
• Starke Vibrationen und Hitze beim Start der Rakete
• heiße und kalte Phasen sowie Belastung durch Strahlung während des Flugs zum Phobos
• Aufprall auf Phobos bei der Landung
• heiße und kalte Phasen sowie Belastung durch Strahlung auf Phobos selbst

Diese Belastungen werden erfasst, entsprechende Anforderungen an das Fahrwerk werden daraus abgeleitet und müssen bei der Entwicklung des Fahrwerks berücksichtigt werden. Auch aus den Schnittstellen zu und dem Zusammenspiel mit anderen Komponenten im Rover ergeben sich Anforderungen an das Fahrwerk. Dies bedeutet, dass neben grundsätzlichen technischen Regelwerken weitere über 120 missionsspezifische Einzelanforderungen zu erfüllen sind.

Jede Schraube zählt

Sogenannte System Requirements sind unter anderem Anforderungen aus der Qualitäts- und Produktsicherung an Prozesse, Verwendung von bestimmten Produkten und Materialien, Dokumentation, Herstellung und das Testen selbst. Ein kritischer Faktor ist die Vermeidung bestimmter Materialien. Unter Vakuumbedingungen bzw. durch die Strahlung können diese Materialien zerstört werden oder sie können andere Komponenten durch Ausgasungen in der Funktion stark beeinträchtigen. Ein Beispiel hierfür sind Klebstoffe.

Außerdem muss das zulässige Maximalgewicht des Rovers – und somit auch der Anteil des Fahrwerks am Gesamtgewicht – beachtet werden. Das festgelegte Gewicht des Fahrwerks muss bis auf einzelne Bauteile, zum Beispiel Schrauben, heruntergebrochen werden.

Verifikation aller Mindestanforderungen an das Fahrwerk

Ob das Fahrwerk die Anforderungen erfüllt, wird von Anfang an durch Analyse oder Design-Reviews verifiziert und in Tests einzelner Komponenten sowie sogenannten Qualifikations- und Akzeptanztests des kompletten Fahrwerks überprüft. Für die Qualifikationstests wird ein Qualifikationsmodell des Fahrwerks gebaut, welches den auf der Reise zu erwartenden hohen Belastungen ausgesetzt wird. Die Akzeptanztests werden am Flugmodell selbst durchgeführt, also mit der Hardware, welche die lange Reise tatsächlich antreten wird. Um diese Hardware nicht schon vor der Reise unnötig stark zu beanspruchen, wird diese geringeren Belastungen ausgesetzt, als auf der Reise wirklich zu erwarten sind. Da Qualifikations- und Flugmodell annähernd baugleich sind, kann man davon ausgehen, dass das Flugmodell ebenfalls alle Anforderungen erfüllt.

Test­se­quen­zen am Bei­spiel das Qua­li­fi­ka­ti­ons­mo­dells und des Flug­mo­dells
Ob das MMX-Rover-Fahrwerk die Anforderungen erfüllt, wird von Anfang an durch Analyse oder Design-Reviews verifiziert und in Tests einzelner Komponenten sowie sogenannten Qualifikations- und Akzeptanztests des kompletten Fahrwerks überprüft.

Laut ECSS-Standard und passend zur Missionsanalyse werden die Modelle Vibrationen, Aufprall-Shocks sowie heißen und kalten Temperaturen (Thermal Cycling) ausgesetzt. Danach wird die Leistung getestet. Um sicherzugehen, dass das Fahrwerk über die komplette Dauer der Mission funktionieren wird, werden außerdem am Qualifikationsmodell Tests durchgeführt, die im Schnelldurchlauf die komplette Missionsdauer auf Phobos simulieren (Life-Tests). Am Flugmodell werden entsprechend weniger Tests durchgeführt.

Um das Qualifikations- und Flugmodell den entsprechenden Belastungen aussetzen zu können, wird die Hardware beispielsweise für die Thermal Cycling Tests in eine Thermal-Vakuum-Kammer eingeschlossen. Unter Vakuumbedingungen wird dann mehrmals auf die gewünschte Temperatur aufgeheizt und abgekühlt.

Vor und nach Tests werden zusätzliche Inspektionen, Reviews und Funktionstests durchgeführt. Dadurch wird ein gemeinsames Verständnis der Testziele, der Testanforderungen, der im Test verwendeten Mess- und Prüfmittel sowie des Testaufbaus zwischen allen beteiligten DLR-Instituten und externen Partnern sichergestellt. Außerdem kann gewährleistet werden, dass bei Abweichungen mögliche Ursachen schnell identifiziert und behoben beziehungsweise Risiken der Projektleitung gegenüber zur Bewertung kommuniziert werden.

Kontinuierliche Verbesserung im Projektverlauf

Abweichungen von Anforderungen und nicht bestandene Tests müssen in Form von sogenannten Non-Conformance-Reports dokumentiert und nachverfolgt werden. Für die Abweichungen müssen Lösungen gefunden werden, welche ein möglichst geringes Missionsrisiko bergen. Dies führt dazu, dass entweder die betroffenen Komponenten überarbeitet, Risiken (neu) bewertet oder notfalls die Anforderungen nochmals geprüft und auch angepasst werden. Die Summe aller Maßnahmen sorgt dafür, dass das DLR Robotik und Mechatronik Zentrum ein Fahrwerk bereitstellt, welches sicher zu einem Gelingen der MMX-Mission beitragen wird.

MMX – Martian Moons eXploration

MMX ist eine Mission der japanischen Weltraumorganisation JAXA mit Beiträgen von NASAESA, der französischen Raumfahrtagentur CNES und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). CNES und DLR steuern zusammen einen 25 Kilogramm schweren Rover bei. Der deutsch-französische MMX-Rover wird unter gemeinsamer Leitung der beiden Partner entworfen und gebaut. Das DLR übernimmt dabei insbesondere die Entwicklung des Rover-Fahrwerks samt Carbonstruktur sowie des gesamten Aufricht- und Fortbewegungssystems. Zudem steuert das DLR das Verbindungs- und Separationssysten zur Muttersonde bei und stellt ein Raman-Spektrometer sowie ein Radiometer als wissenschaftliche Experimente. Diese werden die Oberflächenzusammensetzung und -beschaffenheit auf Phobos messen. Die CNES leistet wesentliche Beiträge mit Kamerasystemen zur räumlichen Orientierung und Erkundung auf der Oberfläche sowie zur Untersuchung der mechanischen Bodeneigenschaften. Darüber hinaus entwickelt die CNES das zentrale Service-Modul des Rovers inklusive des Onboard-Computers sowie des Energie- und Kommunikationssystems. Nach dem Start der MMX-Mission wird der Rover von Kontrollzentren der CNES in Toulouse (Frankreich) und des DLR in Köln betrieben.

Seitens des DLR sind unter der Leitung des Instituts für Robotik und Mechatronik zudem die Institute für Systemdynamik und Regelungstechnik, für Faserverbundleichtbau und Adaptronik, für Raumfahrtsysteme, für Optische Sensorsysteme, für Planetenforschung, für Softwaretechnologie sowie das Nutzerzentrum für Weltraumexperimente (MUSC) beteiligt.

Die Mission MMX steht in der Tradition einer bereits langjährigen erfolgreichen Kooperation der Partner JAXA, CNES und DLR. Sie knüpft an die Vorgängermission Hayabusa2 an, bei der die JAXA eine Raumsonde zum Asteroiden Ryugu schickte mit dem deutsch-französischen Lander MASCOT an Bord. Am 3. Oktober 2018 landete MASCOT auf Ryugu und sendete spektakuläre Bilder einer faszinierenden zerklüfteten Landschaft aus Geröll und Steinen. Hayabusa2 nahm Proben von Ryugu und brachte diese am 6. Dezember 2020 zurück zur Erde.

Kontakt

Falk Dambowsky

Leitung Media Relations, Presseredaktion
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Linder Höhe, 51147 Köln
Tel: +49 2203 601-3959

Michael Müller

Redakteur
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Linder Höhe, 51147 Köln
Tel: +49 2203 601-3717

Hans-Jürgen Sedlmayr

Deut­sches Zen­trum für Luft- und Raum­fahrt (DLR)
In­sti­tut für Ro­bo­tik und Me­cha­tro­nik
Münchener Straße 20, 82234 Oberpfaffenhofen-Weßling

Cynthia Hofmann

Deut­sches Zen­trum für Luft- und Raum­fahrt (DLR)
In­sti­tut für Ro­bo­tik und Me­cha­tro­nik
Münchener Straße 20, 82334 Oberpfaffenhofen-Weßling