ATV

Europas Raumtransporter für die ISS

Mit dem Raumtransporter Automated Transfer Vehicle (ATV) erhielt Europa einen eigenen Zugang zur Internationalen Raumstation ISS. Als komplexestes, jemals in Westeuropa gebautes Raumfahrzeug war ATV ein bedeutender Meilenstein in der europäischen Raumfahrtgeschichte. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen koordinierte dabei die Kommunikation zwischen den weltweit verteilten Kontrollzentren von ATV. Beim DLR in Lampoldshausen wurden außerdem die deutschen, wiederzündbaren Oberstufentriebwerke der Ariane 5 getestet.

Das erste ATV mit Namen „Jules Verne” flog am 9. März 2008 zur ISS. ATV-2 „Johannes Kepler” startete am 16. Februar 2011 erfolgreich vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana. ATV-3 „Edoardo Amaldi” startete am 23. März 2012 und verbrachte knapp sechs Monate angedockt an der ISS. Das nach dem deutschen Physiker Albert Einstein benannte ATV-4 brach am 5. Juni 2013 zur ISS auf. Der Start von ATV-5 „George Lemaître” fand am 30. Juli 2014 statt.

Sechs Tonnen Versorgungsfracht für die ISS aus Europa

Das Automated Transfer Vehicle war ein Raumfahrzeug, das unbemannt Fracht zur ISS transportieren konnte. Es war etwa zehn Meter lang und hatte einen Durchmesser von 4,5 Metern. Mit entfalteten Solarpanelen hatte ATV eine Spannweite von 22,3 Metern. Die Gesamtmasse des startbereiten und beladenen Fahrzeugs betrug um die 20 Tonnen. Die Nettonutzlastkapazität eines ATV lag bei circa sechs Tonnen. Die Zusammenstellung der Fracht variierte jedoch von Mission zu Mission. Neben Nahrungsmitteln und sonstigen Versorgungsgütern konnten die ATVs auch wissenschaftliche Ausrüstung, Ersatzteile und Experimente zur ISS transportieren.

Das Fahrzeug bestand aus einer Sektion für den Antrieb und aus der Avionik, den elektronischen Steuergeräten. Zudem hatte es ein ständig unter Druck stehendes Nutzlastsegment, in dem Trockenfracht befördert wurde. Diese war in sogenannten ISPRs (International Standard Payload Racks) untergebracht, das heißt, sie war so verpackt, dass sie auf der ISS problemlos verstaut werden konnte. Das unter Druck stehende Segment wudre von den Astronauten beim Ent- und Beladen des ATV von der Station aus betreten.

Selbstständiges Andocken an der ISS

Alle ATVs wurden auf einer Trägerrakete des Typs Ariane-5 mit einer wiederzündbaren Oberstufe von Kourou in Französisch-Guyana aus gestartet. Durch die ATV-Flüge war also auch die Ariane-5 Bestandteil des Logistikkonzepts für die ISS. Nach der Trennung von der Oberstufe konnte das ATV die erforderlichen Rendezvous- und Andockmanöver mit der Raumstation autonom fliegen. Hierbei wurde es vom ATV-Kontrollzentrum in Toulouse überwacht.

ATV korrigierte die Umlaufbahn der Raumstation

Das ATV dockte am russischen Stationsmodul Swesda an, wo es sechs Monate lang bleiben konnte. Ähnlich wie der russische Transporter Progress hob ATV mit seinen Haupttriebwerken von hier aus die Station in eine höhere Umlaufbahn an. Dies ist von Zeit zu Zeit nötig, da durch den Widerstand der Restatmosphäre die Raumstation kontinuierlich abgebremst wird und zurzeit etwa 50 bis 100 Meter Bahnhöhe pro Tag verliert.

Einmal Weltall – kein Zurück

Der europäische Raumtransporter war kein wiederverwendbares Raumfahrzeug. Zum Ende der Mission beluden die Astronauten der Internationalen Raumstation ISS den Raumtransporter noch mit bis zu 6,5 Tonnen Abfall von der ISS. ATV dockte dann von der Raumstation ab und wurde kontrolliert in die Erdatmosphäre zurückgeführt, wo es über dem Pazifik verglühte. Die ESA hatte sich damit für eine kostengünstige Variante eines Raumtransporters entschieden. Ein wieder verwendbares Raumfahrzeug wäre für die europäische Weltraumorganisation in der Entwicklung ungleich komplexer und im operationellen Betrieb teurer gewesen. Unter anderem hätte ein Raumtransporter, der wieder auf die Erde zurückkehren kann, noch mit Hitzeschild und Fallschirmen ausgestatten werden müssen. Das wäre auf Kosten der Nutzlast, sowohl beim Transport zur ISS als auch bei der Müllentsorgung von der ISS gegangen. Entwicklungspotenzial für ein Raumfahrzeug, das Nutzlasten von der ISS auf die Erde zurücktransportieren kann, hat der europäische Raumtransporter jedoch durchaus.

Die ATV-Flüge waren der europäische Beitrag zur Versorgung der ISS. Der größte Betrag der für Europa anteilig zu tragenden ISS-Betriebskosten wurde durch diese Sachleistungen anstelle von Devisenzahlungen an die NASA abgegolten. Die gesamten Entwicklungskosten für das ATV beliefen sich auf etwa 1,35 Milliarden Euro. Darin enthalten sind der Prototyp (ATV-1 Jules Verne mit etwa 1 Milliarde Euro), das Bodensegment, die Anpassung der Ariane-5 Trägerrakete, sowie die Trägerrakete selbst. Deutsche Firmen erhielten allein bei Jules Verne Aufträge in Höhe von insgesamt rund 240 Millionen Euro.

Weltweites Netz von Kontrollräumen

Das ATV-Kontrollzentrum der ESA in Toulouse überwachte die Missionen. Es war mit den Kontrollzentren der NASA in Houston und der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos in Moskau verbunden. Das Deutsche Raumfahrtkontrollzentrum des DLR in Oberpfaffenhofen bei München war ebenfalls als Zentrale des sogenannten Interconnection Ground Subnetwork beteiligt. In drei weiteren Kontrollräumen arbeiteten in Toulouse Ingenieure und Techniker und überwachten das ATV. Etwa 90 Minuten bevor das Raumfahrzeug die äußere ISS-Sicherheitszone von gut zwei Kilometern Radius um die Station erreichte, ging die Missionsverantwortung bis zum Andocken an die Kontrollzentren in Houston und Moskau über.

Im ESM lebt Technologie des ATV weiter

Für die Zeit bis 2020 wird derzeit in Europa das auf ATV-Technologie basierende Europäischen Servicemodul (ESM) für das US-amerikanische MPCV-Raumschiff entwickelt.

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