Internationale Raumstation ISS

Forschung im All mit Nutzen für alle

Die Internationale Raumstation ISS ist der größte „Außenposten” der Menschheit im All – ein fliegendes Labor mit exzellenten Möglichkeiten für Grundlagenwissenschaft und anwendungsnahe Forschung. In Schwerelosigkeit gewinnen wir einzigartige Erkenntnisse aus Astrophysik über Materialforschung bis hin zu Psychologie und Medizin. Experimente auf der ISS bereiten darüber hinaus künftige astronautische Explorationsmissionen zum Mond oder Mars vor. Nicht zuletzt ist die ISS ein Innovationsmotor für neue Industriezweige und Technologien wie zum Beispiel Laserkommunikation, Robotik und Sensorik.

Auf der ISS entwickeln die großen Raumfahrtnationen gemeinsam Lösungen für die globalen Herausforderungen unserer Gesellschaft: Gesundheit, Umwelt und Klimawandel sowie Digitalisierung, Industrie 4.0, Energie und Mobilität von Morgen.

Einige Beispiele dafür, wie die Forschung auf der Raumstation dazu beiträgt, unser Leben auf der Erde zu verbessern:

Durch die Forschung im All lernen wir Krankheiten besser zu verstehen. Grundlegende biomechanische Eigenschaften der Skelettmuskulatur von Raumfahrenden werden überwacht, um Veränderungen durch fehlende Schwerkraft zu untersuchen. Die Erkenntnisse führen auf der Erde zu verbesserten Rehabilitations- und Trainingsprogrammen gegen Muskel- und Knochenschwund. Die stressbedingte Schwächung des Immunsystems wird ebenfalls erforscht, als Voraussetzung für neue vorbeugende und therapeutische Maßnahmen bei Schwerkranken. Des Weiteren ist die Behandlung von Infektionen mit Antibiotika-resistenten Keimen Gegenstand der Raumfahrtmedizin. Dank der Forschung auf der ISS wurde mit dem sogenannten kalten Plasma ein wirksames Gegenmittel gefunden.

Umwelt- und Klimabedingungen lassen sich von der ISS aus erforschen. Dabei nutzen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das gute Gespür von Vögeln und Fledermäusen für Klimaveränderungen und bevorstehende Naturkatastrophen. Mit Minisendern ausgestattet, übertragen diese Tiere Daten über ihr Wanderverhalten zur ISS. Die gewonnenen Informationen helfen, Rückschlüsse über klimatische Veränderungen auf der Erde ziehen.

Spin-offs aus der Raumfahrt für Anwendungen auf der Erde werden auch durch den Einsatz von digitalen Assistenzsystemen für die ISS-Besatzung möglich. Mit künstlicher Intelligenz ausgestattet, unterstützt ein solcher Assistent Astronautinnen und Astronauten in ihrem täglichen Arbeitspensum. Er trägt dazu bei, dass die wertvolle Zeit auf der Station noch effizienter genutzt werden kann. Ein weiteres Ziel ist es, aus dieser Interaktion zwischen Mensch und Maschine Erkenntnisse für die robotische Produktion im Rahmen der Industrie 4.0, für Medizin und Pflege sowie für den Bildungsbereich abzuleiten.

Um Industrieprozesse und -anlagen auf der Erde zu verbessern, wird das Verhalten von Granulaten in Schwerelosigkeit untersucht. Dies hat einen großen wirtschaftlichen Einfluss, denn Granulate wie Sand oder Getreide sind nach Flüssigkeiten die meistverarbeiteten Güter überhaupt. Auch mit Beton wird auf der ISS experimentiert. Um diesen Baustoff auf der Erde zukünftig klimaneutraler herzustellen, sind CO2-Einsparungen an vielen Stellen der Prozesskette nötig. Eine Grundlage dafür ist ein besseres Verständnis der Aushärtung, deren komplexe Mechanismen ohne störende Schwerkrafteinflüsse und bei unterschiedlichen Probenzusammensetzungen untersucht werden. Die Ergebnisse können einen Beitrag für einen effektiveren Einsatz von Beton liefern.

Mit Schmelz-Experimenten im sogenannten elektromagnetischen Levitator werden auf der ISS Fortschritte bei industriellen Guss- und Produktionsverfahren bei Metallen und Legierungen erzielt, beispielsweise bei neuartigen Flugzeugturbinenschaufeln oder Motorgehäusen. Dies macht Flugzeuge und Autos leichter und hilft auf diese Weise, Treibstoff und Energie einzusparen – für eine saubere Mobilität von Morgen.

Auch das Verhalten von Plasmen wird auf der Raumstation untersucht, um das Verständnis dieses Materiezustands zu erweitern. Dies soll technologischen Fortschritt in der Produktion von Halbleitern, modernen Antrieben, Ventilen und Stoßdämpfern bringen.

Langzeitversuche zu ultrakalten Atomen, die in dieser Ausprägung nur auf der ISS möglich sind, können die Entwicklung von modernster Chip-Technologie, miniaturisierten Lasermodulen und hochpräzisen Uhren und Sensoren weiter vorantreiben. Mit diesen Entwicklungen kann zum Beispiel die Satellitennavigation in Zukunft wesentlich genauer erfolgen.

Mehr und mehr kommen industriemotivierte Forschung und kommerzielle Experimente an Bord, vor allem in den USA. Europa hat für diesen Zweck die von Airbus gebaute Außenplattform Bartolomeo im Jahr 2020 beigestellt. Der niedrige Erdorbit wird somit langsam ein Teil der irdischen Ökonomie.

Für Deutschland als Exportnation, Hochtechnologieland und Wissenschaftsstandort ist die Forschung auf der ISS Investition in die Zukunft und gleichzeitig Inspiration für den Nachwuchs. Astronautische Missionen mit deutscher Beteiligung im Auftrag der Europäischen Weltraumorganisation ESA stärken den Wissenschafts- und Innovationsstandort Deutschland und machen die Bundesrepublik zu einem der intensivsten Nutzer und Profiteure der wissenschaftlichen Anlagen an Bord der ISS, damit aus „Science Fiction“ „Science Facts“ werden.

Über 20 Jahre Forschung im freien Fall

Im Dezember 1998 begann mit der Kopplung des russischen Cargo-Moduls „Sarja“ und des US-amerikanischen Verbindungsknotens „Unity“ der Aufbau der Internationalen Raumstation in der Erdumlaufbahn. Das Andockmanöver war der sichtbare Anfang des größten Kooperationsprojektes der Menschheit im All. Erstmals kam eine dauerhafte internationale Zusammenarbeit zwischen Russland, den USA, Europa, Kanada und Japan im Weltraum zustande.

Seit November 2000 halten sich ständig Astronautinnen und Astronauten auf der ISS auf. Im Februar 2001 dockte mit dem US-amerikanischen Destiny-Modul die erste Forschungseinheit an. Damit konnte die Wissenschaft in rund 400 Kilometern Höhe, einer Geschwindigkeit von etwa 28.000 Kilometern pro Stunde relativ zur Erde und bei permanenter Schwerelosigkeit beginnen.

Über die Jahre ist die ISS zu einer weit verzweigten Forschungsstation angewachsen. 43 Flüge von russischen Trägerraketen und US-Space Shuttles waren notwendig, um Module und große Komponenten in den Erdorbit zu transportieren. Der erste ISS-Baustein, das 12,60 Meter lange Sarja-Modul, wog gut 20 Tonnen. Aktuell bringt die ISS eine Gesamtmasse von rund 420 Tonnen auf die Waage. Die Raumstation besteht heute aus sechs Forschungslaboren, zwei Wohneinheiten, einer Beobachtungskuppel, etlichen Stauräumen, Verbindungsknoten, Andockvorrichtungen und Roboterarmen. Ihre Bewohner haben mit rund 1.000 Kubikmetern in etwa so viel Platz zum Leben und Arbeiten wie in einer Boeing 747.

ISS-Grafik, Stand März 2022 während der Cosmic-Kiss-Mission von ESA-Astronaut Matthias Maurer
Das Bild zeigt, was wo auf der ISS passiert und welche Nation welches Modul beigesteuert hat.

Deutschland auf der ISS

Forscherinnen und Forscher aus Deutschland sind seit Beginn der wissenschaftlichen Nutzung der Raumstation im Jahr 2001 dabei. Das erste Experiment überhaupt war das deutsch-russische PKE-Experiment zur Erforschung des Wachstums von Plasmakristallen in Schwerelosigkeit. Mit über 100 wissenschaftlichen Veröffentlichungen zählt es zu den erfolgreichsten Forschungsprojekten auf der ISS. Bis heute wurden weit mehr als 3.000 Experimente aus 108 Staaten auf der ISS durchgeführt. Rund 250 Personen aus 19 Ländern der Erde sind seither zur ISS geflogen. Rund 500 Experimente stammen aus den ESA-Nutzungsprogrammen. In rund 200 dieser europäischen Experimente waren deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beteiligt.

Vier deutsche Astronauten lebten und arbeiteten bislang auf der ISS: Thomas Reiter, Hans Schlegel, Alexander Gerst und Matthias Maurer. Als erster europäischer Langzeit-Astronaut verbrachte Thomas Reiter 2006 im Rahmen der Mission „Astrolab“ sechs Monate auf der Station, um neben Wartungs- und Serviceaufgaben mehr als 30 wissenschaftliche Experimente durchzuführen.

Im Jahr 2008 war Hans Schlegel verantwortlich für die erfolgreiche Montage des europäischen Columbus-Moduls an der ISS. Das in Bremen gebaute Weltraumlabor bildet bis heute das wissenschaftliche Herzstück für die europäische Forschung im All. Das dritte deutsche Besatzungsmitglied auf der ISS ist Alexander Gerst. Er arbeitete 2014 während der Mission „Blue Dot” sechs Monate lang als Bordingenieur auf der Raumstation. Seinen zweiten Langzeitaufenthalt hatte er 2018 mit seiner Mission „horizons”. Als erster Deutscher und zweiter Europäer übernahm er für circa drei Monate das Kommando auf der ISS.

Im November 2021 flog Matthias Maurer als erster deutscher Astronaut an Bord einer SpaceX-Raumkapsel des kommerziellen NASA Crew-Programms zur ISS. Für seine Mission hat er den Namen „Cosmic Kiss“ gewählt – eine Art Liebeserklärung an das Weltall, die Erde und die Forschung und ein Symbol für die partnerschaftliche Erkundung des Weltraumes, wie sie sich seit Beginn der ISS-Nutzung unter den teilnehmenden Nationen etabliert hat.

Die Rolle des DLR

Im Zusammenhang mit dem Ausbau, dem Betrieb und der Nutzung der Internationalen Raumstation engagiert sich das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt auf vielfältige Weise: Die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR koordiniert die deutschen Beiträge zu den ISS-Programmen der ESA. Darüber hinaus ist sie für die Umsetzung des nationalen Nutzungsprogramms verantwortlich.

Als Forschungszentrum ist das DLR an zahlreichen Experimenten auf der Raumstation beteiligt. In der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung der deutschen und europäischen Weltraumexperimente werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch das DLR-Nutzerzentrum für Weltraumexperimente (MUSC) unterstützt. Für die Ausbildung der Astronautinnen und Astronauten sowie des Betriebsteams des Columbus-Labors ist das Europäische Astronautenzentrum (EAC) zuständig, in Zusammenarbeit mit der DLR-Einrichtung Raumflugbetrieb und Astronautentraining. Das Columbus-Kontrollzentrum im DLR Oberpfaffenhofen steuert den Betrieb des ISS-Moduls in enger Abstimmung mit der ISS-Crew sowie den Kontrollzentren der NASA in Houston und Huntsville.

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Kontakt

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Redakteur
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
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Tel: +49 2203 601-3717

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ISS-Fachgruppenleitung, Missionsleitung Cosmic Kiss
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