Den Satelliten ein Stück näher
Peru gehört zu den weltweit am stärksten vom Klimawandel betroffenen Ländern. Das hat schwerwiegende Folgen für die Verfügbarkeit von Wasser im ganzen Land. Eine internationale Kooperation zwischen dem DLR und der peruanischen Wasserbehörde unterstützt das Wasserressourcenmanagement durch Gewässerfernerkundung aus dem All. Dazu war ein DLR-Team aus Oberpfaffenhofen im peruanischen Andenhochland unterwegs. Ein Bericht über eine außergewöhnliche Messkampagne.
Die lange Reise von München über Lima führt endlich nach Huancayo. Die größte Stadt der peruanischen Anden liegt 3.250 Meter über dem Meeresspiegel. Hier hat die nationale Wasserbehörde ANA (Autoridad Nacional del Agua) ihr regionales Hauptquartier für das Einzugsgebiet des Río Mantaro. Dieser Amazonas-Nebenfluss spielt eine zentrale Rolle in der Landwirtschaft für die Lebensmittelversorgung der Hauptstadt und in der Stromerzeugung für das ganze Land.
Huancayo ist das erste Basislager für das fünfköpfige Team der Abteilung Experimentelle Verfahren des DLR-Instituts für Methodik der Fernerkundung. Die Arbeitsgruppe unterstützt die ANA seit 2022 im Rahmen des Projekts ProGIRH „Multisektorales Wasserressourcenmanagement im Einzugsgebiet des Mantaroflusses“. Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) fördert dabei den Transfer von Know-how im Bereich der satellitengestützten Gewässerfernerkundung, um sowohl Wasserqualität als auch -quantität in dieser Region zu überwachen. Am Ende des Projekts soll die ANA selbstständig Satellitenbilder auswerten können, um abgelegene, schwer erreichbare Seen häufiger beobachten und bewerten zu können. Dazu führte das DLR-Team im Rahmen des Forschungsprojekts zahlreiche Workshops durch – online, in Peru und in Deutschland. Teil des Projekts ist auch diese zweiwöchige Messkampagne mitten in den Anden. Dort untersucht das Team die drei Seen Lasuntay, Huacracocha und Junín. Anhand der gewonnenen Datensätze passen die Forschenden ihre physikalischen Modelle und die Software zur Datenauswertung an die regionalen Eigenschaften der Seen an.
Messungen auf, über und im Wasser
Die über 4.500 Meter hoch gelegenen Seen Lasuntay und Huacracocha dienen der Trinkwasserversorgung der fünfhunderttausend Einwohner von Huancayo. Man erreicht sie nach ungefähr zwei Autostunden und 1.300 Höhenmetern. Schnell verschwindet der Verkehrslärm der Stadt, genauso wie der Teerbelag der Bergstraße entlang des schmalen Tals des Río Shullcas. Eine Baustelle am Ende dieser einzigen Route schränkt die staubige Fahrt zum See und zurück auf nur wenige enge Zeitfenster am Tag ein. Immerhin, nach vielen Monaten Vorbereitungsarbeit, unzähligen Genehmigungen diverser Behörden und der tatkräftigen Unterstützung der peruanischen Projektbeteiligten, erreicht der Pick-up-Konvoi das Ufer der Laguna Lasuntay. Endlich stehen alle vor der imposanten Aussicht auf den Gletscher des 5.557 Meter hohen Nevado Huaytapallana. Begleitet vom Donnern sporadischer Eislawinen – klimawandelbedingt bis zu fünfmal am Tag – und nach der traditionellen Opfergabe „Pagapu al Agua“ können die Feldmessungen nun endlich beginnen.
An mehreren Tagen hintereinander erfasst das Team Reflexionsspektren der Wasseroberfläche von Lasuntay und Huacracocha, an tiefen Stellen von einem Schlauchboot aus und in den seichteren Bereichen direkt im See stehend mit Wathosen. Dazu nutzen die Forschenden ein tragbares Spektrometer – das technische Herz der Feldmessungen. Damit sammeln sie auch Reflexionsspektren von Sedimenten, Steinen und Pflanzen des Seeuntergrunds und des Ufers. Zeitgleich fährt ein kleines, eigenentwickeltes, autonomes Messboot Transekten ab und misst mit einem Echolot die Wassertiefe. Aus der Luft kartografiert eine für diese Höhe geeignete Drohne mit hunderten von Bildern den See und seine Umgebung. Zum Messprogramm gehört außerdem die Entnahme von Wasserproben, die dann im Labor analysiert werden.
Zukünftig helfen Satelliten bei der Bestimmung der Wasserqualität
Die Konzentrationen der Wasserinhaltsstoffe Chlorophyll, Schwebstoffe und Gelbstoffe bestimmen die optischen Eigenschaften eines Gewässers. Die Forschenden ermitteln sie mithilfe der vor Ort gemessenen Reflexionsspektren, genauso wie die dominierende Phytoplanktongruppe. Diese Größen dienen als Indikator für die Wasserqualität und ergänzen die biochemischen Wasserprofile. Diese erstellt die ANA ein bis zwei Mal im Jahr anhand von Wasserproben, die im Labor analysiert werden. Auf Basis der Messungen wird das DLR-Team seine Auswertungsalgorithmen an die regionalen Gegebenheiten anpassen. Damit kann man diese Parameter zukünftig aus Satellitenaufnahmen von Seen dieser Region ableiten. Der große Vorteil: Künftig können mittels Satellitenaufnahmen Aussagen über den Zustand der Seen getroffen werden, ohne dass jedes Mal ein Team vor Ort Messungen durchführen muss. Und zwar häufiger, unaufwändiger, weniger kostspielig und vor allem nicht nur für eine Handvoll Messpunkte, sondern über die gesamte Seefläche.
Die Aktivitäten in Huancayo schließt das Team mit einem Vortrag ab. Hier werden der aktuelle Fortschritt und die ersten vorläufigen Ergebnisse auch mit den Behörden aus Lima diskutiert. Vor allem die vollständige bathymetrische Kartierung der Laguna Lasuntay – ein Novum – sorgt für Begeisterung. Damit kann man nicht nur die aus Satellitenbildern abgeleitete Wassertiefe validieren, sondern auch das Volumen des Sees und so die Verfügbarkeit des knappen Trinkwassers für Huancayo bestimmen, um die Versorgung der Bevölkerung besser planen zu können.
Unterwegs auf dem zweitgrößten See Perus
Nach der ersten Kampagnenwoche geht die Reise weiter zum Junínsee oder Lago Chinchaycocha, wie ihn die einheimische Bevölkerung nennt. Das DLR-Team hat sich mittlerweile an die Höhe akklimatisiert und die fünfstündige Autofahrt durch 175 Kilometer bergige Landschaft ist eine gute Abwechslung zum dicht geschmiedeten Messplan. Die Forschenden starten die Beprobung vom kleinen Dorf San Pedro de Pari aus. Hier stehen zwei Boote mit erfahrenen Bootsführern zur Verfügung. Außerdem unterstützen die Bewohnerinnen und Bewohner die geplanten Messaktivitäten. Das ist aufgrund jahrelanger Konflikte zwischen Gemeinden und Autoritäten nicht überall der Fall. Grund dafür sind die Aktivitäten der hier ansässigen Bergbau-Industrie, die den See mit ihren Abwässern seit Jahrzehnten stark verseucht. Zudem hebt die in den 1930er Jahren gebaute Talsperre Upamayo am Ursprung des Río Mantaro den Wasserspiegel und verursacht immer wieder Überflutungen der weit ausgedehnten flachen Uferbereiche. Dadurch erleidet die klein dimensionierte lokale Viehhaltung immer wieder erhebliche Verluste und auch das empfindliche Ökosystem, das früher ein Vogelparadies war, wird stark in Mitleidenschaft gezogen.
Wetterbedingt startet der Arbeitstag sehr früh. Die weidenden Lamas und Alpakas, die auch hier überall leben, sind bei Tagesanbruch in der frostigen, nebligen Landschaft versteckt. Der zweitgrößte See Perus liegt auf 4.085 Meter Höhe und erstreckt sich über etwa ein Drittel der Fläche des Bodensees: Vom Ufer bis zu einem Messpunkt kann es bis zu zwei Stunden dauern. Spätestens gegen Mittag, wenn es windig und unbeständig wird, muss das Team das Wasser verlassen. Zur Sicherheit fährt ein zweites Boot mit, denn es passiert nicht selten, dass sich eine Schiffsschraube im seichten Untergrund verfängt – einer Mischung aus Wasserpflanzen, Schlick und Schlamm – oder dass einer der alten Motoren ausfällt.
Aufgrund der Größe des Sees unterscheiden sich die Messziele hier von denen der kleineren Seen bei Huancayo. Eine komplette bathymetrische Kartierung mit dem kleinen Messboot ist unvorstellbar. Stattdessen fährt das Team repräsentative Transekten ab. Mit den Messdaten können zukünftig genauere Karten auf Basis von Satellitendaten erstellt werden. Gleichzeitig erfassen die Forschenden eine große Vielfalt von Reflexionsspektren mit dem Feldspektrometer: nicht nur an der Wasseroberfläche in Tief- und Flachwasserbereichen des Sees, sondern auch an verschiedenen Stellen der Gewässersohle und des Uferbereichs. Auch hier bewährt sich die Drohne: Mit ihren Bildern lassen sich geeignete Messstellen wesentlich leichter finden als vom Boot aus. Das sind beispielweise Bereiche mit Makrophytenbewuchs oder Schwebstofffahnen. Eine Unterwasserkamera dokumentiert zusätzlich den Untergrund für die spätere Bewertung der Ergebnisse.
Damit die Wasserparameter später möglichst genau aus Satellitendaten abgeleitet werden können, sollen die Vor-Ort-Messungen mit Überflügen von multi- oder hyperspektralen Satelliten wie Sentinel-2, Landsat-9 oder EnMAP synchronisiert werden. Dazu muss der Himmel allerdings wolkenlos sein. Das ist leider nicht immer der Fall. Zusätzlich finden ausgerechnet an dem einzigen Tag, an dem diese drei Satelliten innerhalb einer Stunde den Junínsee überfliegen, Feierlichkeiten zu Ehren des Schutzpatrons von San Pedro de Pari statt und es stehen keine Bootsfahrer zur Verfügung.Nichtsdestoweniger liegt am Ende der zweiwöchigen Kampagne ein wertvoller Datensatz vor: insgesamt mehr als 90 Reflexionsspektren, über 40 Wasserproben, viele Wassertiefenprofile sowie unzählige Bilder und Videos aus der Luft, über und unter Wasser, inklusive einiger Satellitenaufnahmen. In den folgenden Monaten werden die Forschenden des DLR die Ergebnisse der Datenanalyse mit der ANA diskutieren und sie in einen Leitfaden zusammenfassen. Mit diesem kann die erlernte und geprüfte Methodik selbstständig weiter eingesetzt werden. Und natürlich werden dem Team die Eindrücke dieser einzigartigen Messkampagne im südamerikanischen Hochland noch lange in Erinnerung bleiben.
Ein Beitrag von Dr. Ian Somlai Schweiger aus dem DLRmagazin 174.