Was am Boden geht, funktioniert das auch in der Luft?
E-Flugzeuge sind nicht per se leise, bieten aber viele Potenziale
Wenn Olaf Brodersen das Haus verlässt, ist es draußen meist noch dunkel.Mit dem Notebook unter dem Arm springt er behänd in sein Auto, der Thermobecher verschwindet im Getränkefach. Brodersen drückt einen kleinen Knopf und mit einem kaum vernehmbaren Surren rollt der Wagen vom Parkplatz auf die Straße.
Es ist dieses Gefühl des schwere- und geräuschlosen Dahingleitens, das ihn schon in seiner Jugend mit elektrischen Modellflugzeugen und später mit einem Elektroauto liebäugeln ließ. Doch Olaf Brodersen ist Wissenschaftler. Fahrgefühl und Klimadebatte reichen ihm nicht, um über die Mobilität der Zukunft zu visionieren, für ihn zählen Forschungsergebnisse und Fakten. Brodersen arbeitet am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Beim Thema Lärm brauchen wir uns nichts vorzumachen, sagt er. „Ein Elektro-Antrieb allein macht ein Fahrzeug – egal ob auf der Straße, in der Luft oder auf der Schiene, nicht vollkommen leise.“ Als Forscher demonstriert er das gleich einmal und fährt mit seinem Wagen auf die Autobahn auf. Bereits ab einer Geschwindigkeit von etwa 60 km/h ist das E-Auto genauso laut wie jeder andere PKW, da nun das Reifengeräusch dominiert; und so geht es weiter, denn bei über 100 Stundenkilometern produziert - wie bei herkömmlichen Fahrzeugen - die umströmende Luft das Außengeräusch.
Im Büro angekommen fährt Brodersen seinen Rechner hoch. „Ein Flugzeug“, beginnt er, „ist natürlich noch deutlich schneller unterwegs als ein Auto“. Futuristisch anmutende Flugzeugkonfigurationen erscheinen auf dem Bildschirm. „Schadstofffrei, klima-neutral und leise zu fliegen ist daher für die Luftfahrt eine noch größere Herausforderung als für den Straßenverkehr.“ Eine Herausforderung, der sich die Wissenschaftler im DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik täglich stellen. Bereits seit einigen Jahren befassen sie sich hier auch mit der Erforschung elektrischer Flugzeug-Konzepte. Wie könnte das Elektrische Flugzeug der Zukunft aussehen? Wie müsste es entworfen werden, um schadstofffrei, leise, sicher und effizient zu fliegen? „Ein Potenzial des elektrischen Fliegens kann für bestimmte Flugzeuggrößen durchaus vorhanden sein und im DLR werden zahlreiche neue Technologien hierfür entwickelt“, sagt Brodersen motiviert. Nicht nur hinsichtlich ihrer Leistung, auch beim Thema Fluglärm sind die Erwartungen der Gesellschaft groß. Doch wenn die Geräuschentwicklung im Flug vorwiegend aerodynamisch bedingt ist, wie lässt sich dann beim Lärm überhaupt etwas machen?
Langsam drehende Fanschaufeln und schmale Tragflächen für weniger Lärm
Hier kommt Brodersens Kollege Professor Jan Delfs ins Spiel. Er leitet die Abteilung Technische Akustik im Institut. „Schall entsteht an drei wesentlichen Punkten“, erklärt er. „Zum einen am Flugantrieb durch Propeller oder Stahltriebwerke, zum anderen bei der Umströmung der Flugzeugzelle und schließlich bei der aerodynamischen Wechselwirkung von Antrieb und Zelle. Ein Potenzial zur Lärmminderung“, so Delfs, „steckt also vor allem im Entwurf“. Er wirft einen Blick auf die neuen Konzeptentwürfe aus Brodersens Abteilung. Die meisten Elektro-Flugzeuge wirken kleiner und leichter, als konventionelle Mittelstreckenflugzeuge. Die Tragflächen sind häufig schmal und lang und leicht. Oft verfügen sie über mehrere verteilte Antriebe. Das kommt Gewicht und Steuerung zugute. Doch die vielen Rotoren können laut werden. Andererseits erzeugen viele kleine Propeller ein anderes Geräusch als zwei große. Delfs berät sich mit Brodersen. „Wir arbeiten an vielen neuen Konzepten. So könnte die radikal andere Anordnung der Antriebe am Flugzeug nicht nur die Abstrahlung Richtung Boden abschirmen, sondern die Integration von leiseren Triebwerken mit größerem Durchmesser erleichtern“, erklärt der Akustik-Experte.
Entscheidend ist der Fluglärm, der bei Start und Landung in der Nähe von Flughäfen entsteht. In zehn Kilometern Höhe stört er am Boden niemanden mehr. Beim Start verursacht das Triebwerk, wenn es unter Volllast arbeitet, den meisten Lärm. Bei der Landung ist es zusätzlich die Luftströmung an Flügeln, Landeklappen, Rumpf und Fahrwerk, die ein Flugzeug laut werden lässt.
Mit wenigen Klicks startet Jan Delfs einen Videoanruf, auf dem Bildschirm erscheint ein Berliner Kollege: Prof. Lars Enghardt vom DLR-Institut für Antriebstechnik grüßt gut gelaunt in die Kamera. Der Antriebslärmforscher freut sich auf den regelmäßigen Austausch mit seinen Braunschweiger Kollegen und bestätigt: Durch die reine Elektrifizierung - also das Gedankenexperiment des radikalen Austauschs der Verbrennungskomponenten in aktuellen Triebwerken durch Elektromotoren – kann nur sehr wenig für die Fluglärmminderung getan werden, denn: Der Großteil des Schubs moderner Turbofantriebwerke, nämlich 90 Prozent, wird von dem großen Fan, dem ummantelten Propeller vorne direkt im Einlauf, erzeugt. Dessen vergleichsweise langsamer Schubstrahl umgibt den heißen Kernstrahl, der ohne Verbrennung zwar verschwinden würde, aber heute nur noch für lediglich 10 Prozent des Vortriebs verantwortlich ist. Folgerichtig sind die Lärmquellen aktueller Triebwerke insbesondere beim Start und auch beim Landeanflug durch den Fan geprägt, der auch in rein elektrischen Antrieben als Schuberzeuger erhalten bliebe. „So einfach geht es also leider nicht!“, bekräftigt Lars Enghardt die Überlegungen der beiden Kollegen. Auch er sieht die große Chance für den Luftverkehr von morgen im radikalen Umdenken sowohl beim Design der Flugzeugzelle als auch bei der Installation der Antriebseinheiten.
Für die Landung müssten insbesondere die Hochauftriebshilfen und Fahrwerke sowie deren Anordnung zur Vermeidung ungünstiger aerodynamischer Beeinflussungen anders gestaltet werden. „Bei elektrisch angetriebenen Flugzeugen kann die Anordnung und Verteilung von Triebwerken am Flugzeug ganz neu gedacht werden. Das gesamte Flugzeugdesign kann wesentlich freier erfolgen in Verbindung mit vielen kleinen und verteilten elektrischen Antrieben“, erklären Jan Delfs und Olaf Brodersen. Und dies könne, bekräftigt Lars Enghardt die Ausführungen der Braunschweiger Wissenschaftler, „zur Ausnutzung neuartiger Schallauslöschung zwischen vielen Einheiten führen und als Alternative zu – oder aber in Kombination mit - der geschickten Integration noch größerer, unterstützender Antriebseinheiten mit langsamer drehenden Fanschaufeln für deutlich weniger Lärm sorgen.“
Ein Abstecher in die Akustik
Fluglärm ist in Deutschland die Verkehrslärmquelle Nummer Zwei– mehr als 40 Prozent der Menschen fühlten sich hier laut einer Umfrage des Umweltbundesamtes in den vergangenen Jahren durch die Geräuschemissionen von Flugzeugen gestört. Doch Lärm ist bekanntlich nicht nur eine physikalische Größe, sondern immer auch eine Empfindungsfrage. Oder wie der Autor Kurt Tucholsky bereits sagte: „Der eigene Hund macht keinen Lärm, der bellt nur.“
Beschrieben wird Schall, genauer Schalldruck, als Pegel, gemessen wird er in einer logarithmischen Skala und ausgedrückt in Dezibel (dB) -Einheiten. Unsere Hörschwelle liegt bei 0 dB. Doch während der Kühlschrank zuhause mit rund 40 dB kaum wahrgenommen wird, kann ein tropfender Wasserhahn des Nachts mit gerade einmal 20 dB eine sehr störende Lärmquelle darstellen. So könnte der Schallpegelmesser beim Überflug eines Flugzeugs denselben Wert anzeigen wie bei der Durchfahrt eines Zuges, und dennoch würden viele „Hörer“ die Geräusche unterschiedlich bewerten; erst hierbei wird von „Lärm“ und dessen Belästigung gesprochen. An deutschen Flughäfen wird der sogenannte Dauerschallpegel, also die mittlere Geräuschbelastung über einen größeren Zeitraum erfasst. Bedingt durch die logarithmische Skala bedeutet eine Reduzierung von 10 dB eine Zehntelung der Schallleistung. Eine Halbierung entspräche einer Reduzierung um 3 dB.
Zum Schutz vor Fluglärm empfehlen Weltgesundheitsorganisation und Bundesumweltamt, einen 24StundenDauerschallpegel von 45 dB einzuhalten. Und auch die EU-Kommission hat sich ein großes Ziel im „Flightpath 2050“ gesetzt: Bis 2050 soll der Fluglärm um 65 Prozent gesenkt werden.
„Bei all dem darf man nicht vergessen, dass in den letzten Jahrzehnten viele technische Fortschritte erzielt wurden und die meisten Flugzeuge heute die gültigen Lärmgrenzwerte deutlich unterschreiten“, erklärt Jan Delfs. „Flugzeuge der neusten Generation sind immerhin rund 80 Prozent leiser als noch vor 60 Jahren.
Institutsübergreifende Forschung für rentable E-Flugzeuge
Auf der Suche nach Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung und Lärmminderung und um den sehr hochgesteckten Zielen der EU-Kommission möglichst nahe zu kommen, arbeiten Jan Delfs, Olaf Brodersen und Lars Enghardt im Rahmen mehrerer Projekte mit vielen DLR-Instituten fachübergreifend an neuen Antriebs- und Flugzeugkonzepten.
Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge mit elektrischen oder hybrid-elektrischen Antrieben und neuer Flugzeugform könnten also den Mobilitätsansprüchen und steigenden Fluggastzahlen gerecht werden bei möglichst geringen Auswirkungen auf Flugkosten. Denn wenn sich Einschränkungen im Nachtflugverbot oder der Bau von Lärmschutzmaßnahmen, bzw. Lärmentgelte an den Flughäfen deutlich reduzieren ließen, würden sich auch die – derzeit noch deutlich kostspieligeren – Elektro-Flugzeuge mit zusätzlichen Betriebsstunden womöglich rentieren.
Die DLR-Wissenschaftler sind sich sicher: Elektro-Flugzeuge, die es in Zukunft geben könnte, werden anders aussehen, als konventionelle Flugzeuge. Sie werden vermutlich mehrere und leisere Antriebe haben, dafür zugleich kleinere Tragflächen, Klappensysteme und Leitwerke. Unter geeigneten Randbedingungen, die Energieversorgung betreffend, werden sie umweltfreundlicher fliegen. Dabei werden neue Entwurfsfreiräume die Möglichkeit eröffnen, dieses auch leiser zu tun – allerdings nicht lautlos.“