ATV – Europas komplexestes Raumschiff

Der Raumtransporter ATV war ein Gemeinschaftsprojekt von Industrie und Forschung in Europa. Er war das komplexeste Raumfahrzeug, das je in Europa gebaut wurde. Sein Automationsgrad war wesentlich höher als bei den russischen Sojus- oder Progressfahrzeugen. Außer Russland verfügte somit nur Europa über ein autonomes Raumfahrzeug, das in der Lage war, sich automatisch an die ISS anzunähern und anzudocken.

Know-how für zukünftige Missionen

Die Technologie von ATV hat ein enormes Potenzial für zukünftige Raumfahrtanwendungen. Um dieses Potenzial auszuloten, führte die Europäische Weltraumorganisation ESA während der sogenannten ISS-Überbrückungsphase, die durch den Unfall des Space Shuttle Columbia im Jahr 2003 ausgelöst worden war, diverse Studien zur Fortentwicklung des ATV durch. Hierbei wurden Aspekte wie Nutzlastrückführung von der ISS zur Erde in verschiedenen Varianten, externe Transportmöglichkeiten auf ATV, Andockmöglichkeiten des ATV am US-Segment der ISS und astronautische Transporte von der Erde in den Orbit mit einem Crewmodul betrachtet. Auch die Kombination von mehreren ATVs zu einer kleinen Raumstation, eine Modifikation als unbemannter Experiment-Träger und der Einsatz als Explorationsfahrzeug über den Erdorbit hinaus wurden untersucht.

Viele Elemente aus Entwicklungen, Versuchsergebnissen und Erfahrungen der letzten Jahre, wie beispielsweise der europäische Kapseldemonstrator ARD und das Crew Return Vehicle Programm (CRV) wurden in die Studien einbezogen. Das Ergebnis zeigte, dass alle erforderlichen Technologien für eine ATV-Evolution in Europa vorhanden sind. Sie werden zukünftig für bemannte und unbemannte Systeme bei der Raumstationsnutzung und bei Explorationsmissionen von großer Bedeutung sein.

Montage weiterer ATVs in Bremen

Das Unternehmen EADS Astrium Space Transportation in Les Mureaux Frankreich, zeichnete im Auftrag der ESA für die Entwicklung des ATV verantwortlich. Deutsche Firmen waren mit etwa 24 Prozent beteiligt. Die ATV-Entwicklung lief innerhalb der europäischen Beiträge des ISS-Entwicklungsprogramms. Darin waren der Bau des Prototyps Jules Verne-1 und die Errichtung aller notwendigen Bodenanlagen, das ATV-Kontrollzentrum in Toulouse sowie die notwendige Anpassung der Ariane-5-Trägerrakete enthalten.

Der Bau aller weiteren ATVs wurde aus dem ISS-Betriebsprogramm finanziert. EADS Astrium Space Transportation in Bremen war hierbei Hauptauftragnehmer, ebenso bei den sogenannten ATV-Follow-On-Aktivitäten. Letzteres betrifft hauptsächlich eventuelle Weiterentwicklungen des ATV-Konzepts. In Bremen wurden auch alle ATVs integriert, das heißt alle Komponenten wurden aus ganz Europa angeliefert und zum gesamten Fahrzeug montiert.

Großer Anteil deutscher Firmen

Zahlreiche deutsche Zulieferfirmen arbeiteten gemeinsam am europäischen ATV. So wurden bei EADS Astrium in Lampoldshausen beispielsweise die Antriebssektion gefertigt und Steuerdüsenmodule integriert. OHB/MT-Aerospace in Bremen und Augsburg lieferten unter anderem die Tanks, die Verkabelung des Antriebsegments und entwickelten den Meteoritenschutzschild für die Antriebsektion. Die Firma Jena Optronik entwarf und produziert die Telegoniometer, den wesentlichen Teil der Sensoren für das Rendezvous-Manöver. Der Anteil deutscher Firmen während der ATV-Produktionsphase konnte gegenüber der Entwicklungsphase gesteigert werden. Er betrugt etwa 51 Prozent bei den vier ATVs, die nach Jules Verne gebaut wurden.

Insgesamt waren 30 Firmen aus zehn europäischen Staaten an der Produktion der ATVs beteiligt. Acht Firmen aus Russland und den USA lieferten ebenfalls Produkte und Bauteile. So kam etwa das Andocksystem, das sich bisher bei den Sojus- und Progresskapseln bewährt hat, aus Russland. Die vier Haupttriebwerke für jedes ATV lieferte die US-Firma Aerojet Rocketdyne. Diese leisteten ihre Dienste auch in den Space-Shuttles als Steuertriebwerke zur Lageregelung. Weltweit arbeiteten für das ATV insgesamt etwa 1500 Personen in allen Bereichen: Großindustrie, kleine und mittelständische Unternehmen sowie Raumfahrt-Agenturen.

Deutsche Anteile bei der ATV-Entwicklung und -Produktion

  

DLR Oberpfaffenhofen:

Koordination der Gesamtkommunikation zwischen den Kontrollzentren ATV-Kontrollzentrum-Toulouse, Mission Control Center Houston, Mission Control Center Moskau und Redu in Belgien im Auftrag der Astrium GmbH

DLR Lampoldshausen:

Testkampagnen der deutschen wiederzündbaren Oberstufentriebwerke der Ariane 5 für den ATV Einsatz sowie teilweise für die 220 N Steuertriebwerke

DLR Bonn-Oberkassel:

Politische Steuerung des ISS-Programms der ESA über die DLR Raumfahrtagentur

Astrium GmbH (Bremen, auch als Auftraggeber anderer deutscher Astriumanteile in Lampoldshausen):

  • Entwickung des fehlertoleranten Zentralrechners (FTC) und Bau für alle Flugeinheiten
  • Integration des ATV-1 Jules Verne
  • Entwicklung des Antriebssystems (PRSS) einschließlich Antriebselektronik (PDE) und Bau für alle Flugeinheiten
  • Integration des Antriebssegments (EPB) für alle Flugeinheiten
  • Integration des Avioniksegments (EAB) für alle Flugeinheiten, außer Jules Verne
  • Integration von EAB und EPB und Systemtest mit dem Integrated Cargo Carrier (ICC) bei allen Flugeinheiten
  • Fertigung der 220 N Steuertriebwerke für ATV-3 bis ATV-5

Azur Space Solar Power GmbH (Heilbronn):

Solarzellen für alle Flugeinheiten

Friwo GmbH/SAFT (Büdingen):

Nicht aufladbare Batterien

Jena Optronik GmbH (Jena):

Entwicklung und Bau des Telegoniometers für alle Flugeinheiten und Bau von Anteilen des Videometers für alle Flugeinheiten

MT-Aerospace AG (Augsburg):

Entwicklung und Produktion der Treibstofftanks des Antriebsegments (EPB) für alle Flugeinheiten, Entwicklung und Bau der Steuerdüsenmodule (Struktur) für alle Flugeinheiten, Bau des Wasser- und Gasversorgungssystems für alle Flugeinheiten

OHB System GmbH (Bremen):

Entwicklung und Bau des Meteoriten- und Debris- Schutzschild (MDPS) für das Antriebsegment von Jules Verne, Verkabelung des Antriebsegments von Jules Verne und aller weiteren Flugeinheiten Transportcontainer (MGSE) für das Nutzlastmodul

TESAT Spacecom GmbH & Co KG (Backnang):

Einkaufsmanagement der elektronischen Bauteile (EEE-Parts) für alle Flugeinheiten

Vega Informations- Technologien GmbH (Darmstadt):

Support für Simulationsmodelle

Kontakt

Elke Heinemann

Leitung Digitale Kommunikation
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